Wie beeinflusst Meditation das Leben? Werden Praktizierende tatsächlich gesünder? Eine Antwort auf die Eingangsfrage, ob uns Meditation gesund macht, kann nicht einfach ‚ja' oder ‚nein' lauten (denn sonst müsste ich ja auch keinen Artikel schreiben, sondern könnte mich einer dieser Antworten bedienen).
Eine kurze Antwort könnte heißen: Das kommt darauf an. Und zwar auf die Voraussetzungen. Es kommt darauf an, was wir unter ‚Meditation' verstehen, was unter ‚gesund' und wo wir selber stehen oder was wir wollen. Beginnen wir mit ‚Meditation'. Was im Deutschen ‚Meditation' heißt, ist eigentlich die Übersetzung eines Begriffes aus der Pali-Sprache, der wörtlich übertragen ‚Kultur des Geistes' oder ‚Kultur des Bewusstseins' bedeutet. Das ist eine tiefere Bedeutung als das, was wir landläufig mit diesem Begriff meinen, also nicht einfach Entspannung oder geistige Erholung oder Fantasiereisen, sondern innere Arbeit. Eben Kultivierung. Man kann sich das vorstellen wie beim Kultivieren eines Stück Landes oder eines verwilderten Gartens. Da wird es zunächst einmal darum gehen, Brennnesseln, Gras, Erdholunder, Ackerwinden und anderes hartnäckiges Unkraut auszujäten, damit das wachsen kann, was wir säen und wachsen sehen wollen: Salat, Kohl, Bohnen, Blumen, Radieschen, Beeren. Am Anfang werden wir vor allem Mühe und Arbeit damit verbinden. Dann kommt eine Zeit, in der wir nur warten können und gießen müssen, und erst nach einer Weile können wir das Wachstum beobachten und irgendwann später ernten. Bei manchen Pflanzen, Blumen, Beeren und Bäumen wird es gar mehr als ein Jahr dauern, bis wir Früchte sehen.
„Nur der gegenwärtige Moment gehört uns, und nur in ihm geschieht Leben, nirgendwo sonst."
Nicht ganz so drastisch, aber so ähnlich ist es mit der Kultivierung des Geistes. Jeder wird wahrscheinlich zunächst einmal denken: Wieso soll ich meinen Geist kultivieren? Der funktioniert doch ganz gut. Wenn ich mich an etwas erinnern will, kann ich das. Reden kann ich auch und mein Abitur oder meine letzte Prüfung habe ich ebenfalls geschafft. Stimmt. Aber sind wir auch wirklich zu Hause in unserem Geist? Und Herr in diesem Haus? Und schöpfen wir unsere geistigen Potenziale auch voll und ganz aus? Eine kleine Übung, die uns relativ rasch davon überzeugt, dass das oft nicht so ist, besteht darin, für einen Moment die Augen zu schließen, dem Atem zu folgen und langsam die Ausatemzüge – und nur diese – zu zählen, von 1 bis 10 und dann wieder von 1 bis 10, etwa fünf Minuten lang. Tun wir das ohne Übung und Vorbereitung, dann merken wir relativ rasch, dass uns das nicht gelingt. Wir schweifen ab, vergessen, ob gerade 5 oder noch 4 war, oder ertappen uns bei ‚12'. In der Regel ist unser Geist sehr zerstreut, mit vielerlei Dingen gleichzeitig beschäftigt, selten im Moment oder bei dem, was gerade geschieht, und so rinnt uns das Leben durch die Hände beziehungsweise durchs Bewusstsein, ohne dass wir wirklich gegenwärtig gewesen wären. Das Leben passiert, und wir sind gerade auswärts. Nur der gegenwärtige Moment gehört uns, und nur in ihm geschieht Leben, nirgendwo sonst. Um diese Haltung zu realisieren, braucht es Übung, Zeiten und Orte des inneren Rückzugs, zu und an denen wir diese Haltung des Gegenwärtigseins üben können. Das ist Schritt Nummer eins einer Kultivierung des Geistes. Regelmäßig, idealerweise täglich, idealerweise etwa 20 bis 30 Minuten am Tag.
„Das Leben passiert, und wir sind gerade auswärts."
Wir können es auch noch anders sehen: Der große Fortschritt in der Gesundheit ist weniger dem Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft als der Hygiene geschuldet. Tägliches Waschen oder Duschen, das Reinigen der Hände, das Separieren von Toiletten und Wasser zur Nahrungszubereitung. Diese Hygienefortschritte haben geholfen, die großen Seuchen des 19. Jahrhunderts zu besiegen – Cholera, Diphtherie, TBC – und damit auch zum sozialen und menschlichen Fortschritt beigetragen. Und so kam es, dass der durchschnittliche Bürger heute zwischen 30 und 60 Minuten für die körperliche Hygiene aufwendet. Wenden wir auch so viel Zeit für die Hygiene unseres Geistes auf? Zeit, in der wir unserem Geist Gelegenheit geben, sich von all den Inhalten und Eindrücken zu reinigen und sich neu zu sammeln? Klar, das tut er passiv im Schlaf und im Traum. Aber dass wir uns aktiv Zeit nehmen, Meditation gleichsam als Zähneputzen fürs Gehirn? Verwenden wir auch so viel Zeit und Energie auf die innere Sauberkeit wie auf die äußere? Dabei ist ja das Einzige, was wir verändern können in dieser Welt, unser eigener Geist. Wir können nicht die Umwelt ändern, nicht unsere Angehörigen, Familienmitglieder, Partner oder Ehegatten, sondern nur uns selber. Und der Schlüssel dazu liegt in der Kultivierung des Geistes.
Kultivierung des Geistes, so sagte ich, ist regelmäßige Übung. Zunächst ist es eine Übung des Gegenwärtigseins, der Sammlung. Wir erreichen sie dadurch, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf den Atem richten, jedes Mal neu, von Moment zu Moment. Wenn wir das üben, dann merken wir zunächst einmal, wie weit unser Geist herumschweift und wie schwierig es ist, den Fokus auf einer Sache zu halten (das ist im normalen Leben nicht anders, nur fällt es uns da meistens weniger auf). Wenn wir weiter üben, werden wir feststellen, dass uns diese Sammlung besser gelingt und dass dies gleichzeitig mit einem wohltuenden Gefühl der Freude und der Heiterkeit verbunden ist. Das stellt sich immer dann ein, wenn wir ganz eins sind mit dem, was wir tun. Wir erleben das manchmal auch so, wenn wir etwa beim Sport oder in der Bewegung, beim Schwimmen, Tanzen, Wandern, Klettern, Schifahren, Paddeln, was auch immer, ganz eins mit uns selber und unserer Bewegung sind. Die Übung der Meditation hilft uns dabei, dieses Gegenwärtigsein systematisch zu üben, so dass wir die Haltung generalisieren und auch auf andere Tätigkeiten ausdehnen können, selbst wenn es wenig geliebte sind. Und siehe da: Wir merken, dass sich auch dort jenes innere Gefühl des Gegenwärtigseins, des Verbundenseins einstellt, das einen Gefühlston des Erfülltseins und der Heiterkeit mit sich bringt. Technisch gesprochen haben wir dann eine gewisse Form der Achtsamkeit verwirklicht, des Gegenwärtigseins, das zunächst absichtslos und ohne ein inneres Urteil zu fällen bei dem verweilt, was gerade ist.
„Der große Fortschritt in der Gesundheit ist weniger dem Fortschreiten der medizinischen Wissenschaft als der Hygiene geschuldet."
Wenn wir diese Haltung einüben, indem wir gleichsam inhaltsleer immer wieder in der Gegenwart auf unsere Atmung achten, dann können wir dieses Gegenwärtigsein, wie gesagt, übertragen auf andere Zeiten und auch auf Momente, wo es anstrengend wird, wo wir unter Druck geraten oder wo wir in schwierigen Beziehungskonstellationen gefangen sind. Im Laufe der Zeit wird es uns dann gelingen, differenzierter wahrzunehmen, etwa, wenn wir uns überfordert fühlen oder wenn wir unter Druck geraten oder wenn andere uns unter Druck setzen wollen oder wir selber uns unter Druck setzen. Es wird uns leichter gelingen zu spüren, wie es anderen gerade geht, es wird uns leichter gelingen, ihre Motive zu verstehen oder ihre Ziele zu erfassen. All das wird uns helfen, auch im Beziehungswirrwarr des Berufes und des persönlichen Lebens leichter entscheiden zu können, was wir tun und was wir lassen sollten. Und langfristig ist es ein bisschen so wie mit dem Garten: Bei konstanter Pflege und Bearbeitung wird er gedeihen. Und genauso wird auch unser Geist wachsen, blühen und gedeihen. Wir werden im Laufe der Zeit feststellen, dass wir uns nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen lassen oder dass manche Beziehungen im Beruf und im Privatleben so toxisch sind, dass wir sie beenden müssen. Nicht wenige, die beginnen, Meditation zu üben, weil sie im Beruf heillos unter Druck geraten, und die etwas zur ‚Stressbewältigung' suchen, suchen sich als Resultat ihres Prozesses einen neuen Job, weil sie merken, dass sie im alten zugrunde gehen. Wir haben vor Zeiten einmal eine Einladung erhalten, ein Meditationsprogramm in einer Firma zu evaluieren, bei der die Mitarbeiter unter enormem Druck gestanden sind. Eine Gruppe erhielt achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR – mindfulness-based stress reduction), ein strukturiertes 8-Wochen-Programm, in dem einmal pro Woche gemeinsam geübt wird und ansonsten zu Hause, eine andere Gruppe musste eine Weile warten, bis sie das Programm auch machen konnte. Die Gruppe, die zuerst dran war, hatte auf der einen Seite gelernt, konstruktiver mit Stress umzugehen. Auf der anderen Seite waren da aber auch plötzlich aufmüpfige Töne zu hören, die in den Interviews zum Vorschein kamen: Man wollte sich bei der Leitung über den starken Druck beschweren; einen neuen Job suchen; etwas an der Situation verändern.
Meditationsübung kann dazu führen, dass man im Laufe der Zeit besser erkennt, was man verändern kann und was nicht, wo man aktiv gestaltend eingreifen kann und soll und wo man besser anderes Terrain sucht. Meditation macht, langfristig gesehen, weiser, würde ich sagen. Und ich glaube, sie hilft dabei, die Sinnstruktur in unserem Leben zu finden. Wir sind Wesen, die Sinn generieren und Sinn finden wollen, genauer gesagt, die Sinn erzeugen. Oft kommen uns die Fragmente unseres Lebens zersplittert vor. Wir rennen davon und suchen uns zu zerstreuen, so lange, bis wir nicht mehr ausweichen können. Meditation hilft uns dabei, diesen Prozess konstruktiv zu gestalten. Und idealerweise hilft sie uns dabei, dass wir uns gar nicht erst so weit verlieren, dass wir keinen Sinn mehr in dem finden, was wir tun.
„Wir können nicht die Umwelt ändern, nicht unsere Angehörigen, Familienmitglieder, Partner oder Ehegatten, sondern nur uns selber."
Ist nun all das gesund?
Ich glaube ja, und zwar auf einer tiefen Ebene. Meditation, als Kultivierung des Geistes verstanden, hilft uns dabei, unser Verhalten so zu regulieren, dass wir Dinge und Menschen lassen, die uns langfristig schädigen, und Dinge tun und Menschen finden, die für uns gut sind. Tägliche Meditation hat außerdem eine natürliche entspannende Wirkung, und zwar vermutlich mehr als einfache Entspannungsübungen. Denn tiefe Meditation regt unser Entspannungssystem, den Parasympathikus, stärker an als manche Erholung. Das ist sehr heilsam und arbeitet der weit verbreiteten Übererregung unseres sympathischen, Stress vermittelnden Systems entgegen. Viele der Erkrankungen unserer Zeit – Depression, Erschöpfung, Entzündungssyndrome – sind der Tatsache geschuldet, dass unsere Stresssysteme, das sympathische, das über Adrenalinausschüttung die rasche Stressantwort und das Hypophysen-Nebennierensystem, das über Cortisolausschüttung die länger anhaltende Aktivierung vermittelt, übererregt sind und sich nicht mehr richtig regenerieren können. Dem wirkt regelmäßige Meditation direkt und indirekt entgegen. Direkt, indem sie Entspannung und parasympathische, also erholende Aktivierung vermittelt. Und indirekt, indem sie uns hilft, allzu starke Überarbeitung und Stress gleich im Vorfeld zu vermeiden.
Was ist nun, wenn jemand schon krank ist? Wenn Schmerzen chronisch geworden sind oder depressive Reaktionstendenzen immer wieder kehren oder eine rheumatoide Arthritis sich festgefahren hat? Meditation ist kein Allheilmittel. Viele Krankheiten haben eine lange Geschichte, oft eine Geschichte der Vernachlässigung in früher Zeit, in der Kindheit, in der die Erregbarkeit unserer Stresssysteme geprägt wird, oder eine Geschichte der Chronifizierung. Das ist nicht mehr leicht rückgängig zu machen. Aber Meditation kann dabei helfen, mit solchen und anderen Lebenslasten konstruktiv umzugehen. Menschen merken dann häufig, wann Situationen sich aufschaukeln, die zu einer Verschlimmerung oder einem neuen Aufflammen führen können, und lernen dann, diese konstruktiv zu wenden oder zu vermeiden. Das ist das Erfolgsgeheimnis etwa der achtsamkeitsunterstützten kognitiven Therapie zur Verhinderung von Depressionsrückfall. Menschen werden durch diese Arbeit nicht unbedingt von ihrer depressiven Reaktionstendenz vollkommen frei. Aber sie lernen, mit Situationen aufmerksamer umzugehen, die die Gefahr eines depressiven Rückzugs in sich bergen.
„Kultivierung des Geistes, so sage ich, ist regelmäßige Übung."
Allerdings hilft die Übung, sich vor allem im Jetzt zu sammeln, durchaus dabei, verschiedene Symptome und Probleme leichter zu nehmen. Angst zum Beispiel ist häufig damit vergesellschaftet, dass wir in ängstlicher Erwartung vorwegnehmen, was denn alles Schlimmes passieren könnte. Wenn wir uns darin üben, vor allem jetzt in der Gegenwart zu sein und unser Erregungsniveau herunterzuregulieren, dann legt sich die Angst von selber. Ich habe es immer wieder in Meditationsgruppen gesehen, dass vor allem Menschen, die von Angst beherrscht waren, sich plötzlich freier fühlten. Insofern kann Meditation auch durchaus direkt heilsam und gesund sein. Eine Warnung sollte man allerdings anbringen: Meditation führt dazu, dass wir in der Stille unserer selbst gewahr werden. Nicht wenige Zeitgenossen tun alles, um genau diese Erfahrung zu verhindern, indem sie sich in Geschäftigkeit einwickeln wie in einen Kokon oder durch dauerndes Bespülen mit Musik und mediale Überversorgung jegliche leise Töne, die von innen kommen, übertönen. Meditation wird hier zunächst einmal dazu führen, dass wir diejenigen inneren Stimmen, Laute und Töne zur Kenntnis nehmen, vor denen wir bislang geflohen sind. Das ist nicht immer lustig oder erbaulich, weil sich dahinter häufig Stimmen der Not oder des Ärgers oder der Enttäuschung verbergen. Aber wenn wir uns diesen zuwenden, haben wir eine größere Chance, zu unserem tieferen, wesentlicheren Kern vorzudringen. Auch wenn das kurzfristig und mittelfristig mit Schmerzen und mit unangenehmen Gefühlen verbunden ist: Langfristig ist es ein Weg, der sich lohnt.
„Meditation führt dazu, dass wir in der Stille unserer selbst gewahr werden."
Daher lautet die Antwort auf die Frage, ob Meditation gesund macht, aus meiner Sicht: Ja, wenn wir unter ‚gesund' Ganz- und Heilsein in der Tiefe verstehen. Nein, wenn wir darunter einfaches Wohlsein und gute Gefühle verstehen. Das innere, tiefe Gesunden kann nämlich mit Schmerzen und auch mit Trauer verbunden sein: Trauer über all das, was wir bisher vermieden oder versäumt haben. Aber langfristig wird es immer mit einem tieferen Sinn für uns selber, für unser Leben und für unsere ureigene, persönliche Schönheit verbunden sein. Und das ist gesund und heilsam, finde ich.
Martina Pokorny
Sylvia Václav