In den Reden des Buddha finden wir nichts über den Umgang mit der sexuellen Kraft, außer dass es für den Mann nichts Anziehenderes gibt als den Körper der Frau und umgekehrt.
Dafür lesen wir viel über Sinnesvergnügungen und Sinnesfreuden und den rechten Umgang damit. Für den Weg der Menschen, die sich an Buddhas Lehre orientieren, ist das rechte Verständnis davon von großer Bedeutung.
Viele Menschen, die der Lehre des Buddha nahestehen, sind der Überzeugung, dass diese Lehre mehr Toleranz und Eigenverantwortlichkeit in Bezug auf Sexualität bietet als andere Religionen. Die den Buddhismus kennzeichnende Selbstbestimmung führte in späteren Traditionen sogar dahin, dass Mönche des Zen heiraten konnten und tibetische Meister den tantrischen Umgang mit dem anderen Geschlecht als spirituellen Weg praktizierten. Doch was finden wir zur Sexualität, wenn wir auf die ursprünglichen Quellen des Buddha schauen?
Sinnesvergnügungen sind vergänglich, hohl, falsch, trügerisch.
Zunächst können wir feststellen, dass Sexualität ganz ausdrücklich in den fünf sogenannten Richtlinien (Silas) erwähnt wird, die den weltlichen Menschen Orientierung für ein heilsames Verhalten geben und als Übung der Achtsamkeit im Alltag verstanden werden. So heißt es im dritten Sila: „Unrechtes sexuelles Verhalten zu vermeiden, diese Regel nehme ich auf mich." Wir finden an anderer Stelle eine Erklärung, was darunter zu verstehen ist, nämlich sexuelle Aktivitäten mit Minderjährigen, Abhängigen und bereits in anderen Beziehungen gebundenen Menschen. Prinzipiell geht es bei allen Silas darum, sich so zu verhalten, dass man Leid für sich und andere vermeidet. Thich Nhat Hanh, ein Zen-Meister aus Vietnam, erweitert diese Regeln, indem er unter anderem sagt: „Ich bin entschlossen, keine sexuellen Beziehungen einzugehen ohne Liebe und die Bereitschaft zu einer langfristigen und verantwortlichen Bindung. Um mein eigenes Glück und das der anderen zu bewahren, bin ich entschlossen, meine Bindungen und die anderer zu respektieren." Diese Interpretation nähert sich der christlichen Vorstellung der von Gott gewünschten Ausschließlichkeit der Ehe.
Christopher Titmuss, ein anderer Lehrer der Meditation, meint, dass im buddhistischen Sinn erwachsene Menschen jede Form von Sexualität praktizieren können, solange alle einverstanden sind und niemandem geschadet wird. Er sagt: „Wir sollten die Fähigkeit entwickeln, hinter die intensivsten Erfahrungen von Anziehung in unserem Leben zu schauen. ... Wenn wir körperlich auf respektvolle Weise lieben können, dann verwirklichen wir die energetische Einheit der menschlichen Erfahrung." (Aus Christopher Titmuss: Erleuchtung ist anders ...)
An dieser Stelle sei vermerkt, dass der offene und immer auf die eigene Einsicht gerichtete Geist der buddhistischen Lehre verschiedene und oft kulturell geprägte Interpretationen zulässt.
Weiter können wir feststellen, dass sich die ganze Lehre um die ‚Vier Edlen Wahrheiten' des Buddha bewegt und die sagen, dass der Grund allen Leidens in einem geistigen Impuls liegt, der meistens mit Begehren, Verlangen, Gier oder wörtlich mit Durst übersetzt wird. Damit ist eine grundlegende Kraft gemeint, die uns ständig vorantreibt, und dennoch kann es keinen Zweifel geben, dass diese Kraft in unserem Leben ganz besonders im sinnlichen Begehren zum Ausdruck und Wirken kommt. Für Mönche und Nonnen ist daher sexuelle Enthaltsamkeit absolute Pflicht und die Verletzung dieser Regel ein Grund zum Ausschluss aus dem Orden. Es gibt daher nicht wenige Reden, in denen die Gefahr der Sinnesfreuden und ihrer Befriedigung besonders eindringlich hervorgehoben wird. Hier einige Beispiele:
„Begehren ist ... als Pfeil bezeichnet worden; der giftige Saft der Unwissenheit wird durch Gier, Begierde und Übelwollen verbreitet."
„Wenn ein Bhikkhu Zurückhaltung in den sechs Grundlagen des Kontakts übt und ohne Vereinnahmung ist, nachdem er verstanden hat, dass Vereinnahmung die Wurzel von Dukkha ist ... so ist es nicht möglich, dass er seinen Körper auf irgendeine Form der Vereinnahmung lenkt oder seinen Geist daran erregt." (Mittlere Sammlung 105)
„Aber diese Wesen, die nicht frei von Begehren nach Sinnesvergnügungen sind, die vom Begehren nach Sinnesvergnügungen verzehrt werden ... haben Sinne, die beeinträchtigt sind; daher, obwohl die Berührung der Sinnesvergnügen in Wirklichkeit schmerzhaft ist, nehmen sie sie fälschlicherweise als angenehm wahr."
„Ich habe niemals einen ... gesehen ... der sich vergnügt ... der, ohne das Begehren nach Sinnesvergnügen zu überwinden, ohne das Fieber nach Sinnesvergnügen zu entfernen, in der Lage war, frei von Durst, mit einem Geist, der inneren Frieden hat, zu verweilen ..." (Mittlere Sammlung 75)
An anderer Stelle sagt der Buddha: „Sinnesvergnügungen sind vergänglich, hohl, falsch, trügerisch, sie sind nur Schein, ihr Bhikkhus, die Unterhaltung von Narren ... Ihretwegen entstehen diese üblen, unheilsamen Geisteszustände wie Habgier, Übelwollen und Anmaßung, und sie stellen ein Hemmnis für einen edlen Schüler in der Übung dar." (Mittlere Sammlung 106, alle aus Zumwinkel: Die Lehrreden des Buddha)
Empfiehlt nun die ursprüngliche Lehre des Buddha, eine ähnlich ablehnende Haltung zu Lust und Sexualität einzunehmen, wie das bestimmte christliche Lehren über Jahrhunderte getan haben? Das ist nicht so leicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Der Unterschied liegt in einer differenzierten Analyse, wie sie die Buddha-Lehre bietet. Es geht nicht darum, die Kräfte des Begehrens zu unterdrücken oder sie zu verdammen. Es geht darum, sie zu erkennen, den Preis, den wir für das Vergnügen unbewusst bezahlen, bewusst zu machen, die Folgen zu bemerken und diese fesselnden Kräfte zu transformieren. Eine der genannten Folgen aus allen Vergnügungen ist das Anhaften: „Das Festhalten allein ist die Wurzel allen Leidens. Wer daran nicht haftet, dessen Geist kann von den sinnlichen Vergnügungen nicht mehr erregt werden und er wird nicht mehr danach streben." (Mittlere Sammlung 105, aus Köppler: So spricht Buddha)
Das bedeutet, es geht nicht um Gebote, sondern darum, durch Beobachtung des Begehrens seine Funktion zu durchschauen, die Unfreiheit darin zu erkennen und diese Einsicht führt ganz natürlich zu einer Abwendung.
Dem gesammelten Geist erschließen sich Vertiefungen des Bewusstseins, die körperlich erfahrbare Freuden bieten, die viel intensiver und stärker sind, als alle sinnlichen Erlebnisse je sein können.
Hier ist nun ein weiterer Aspekt von großer Wichtigkeit. Ein Geist, der nicht mehr von den Sinnesvergnügungen erregt wird, kann leichter zur Ruhe kommen und sich sammeln. Nun geschieht jedoch etwas Bemerkenswertes. Dem gesammelten Geist erschließen sich Vertiefungen des Bewusstseins, die körperlich erfahrbare Freuden bieten, die viel intensiver und stärker sind, als alle sinnlichen Erlebnisse je sein können. Der auch bei buddhistischen Kennern geschätzte Mönch Ajahn Brahm betont in seinen Kursen gern und mit etwas Humor, dass die Vertiefungen (Jhanas) hundert Mal intensiver sind als der schönste Orgasmus. Wichtig dabei ist, dass zumindest die ersten vier Vertiefungen von Erlebnissen bestimmt werden, die den ganzen Körper erfassen und durchdringen.
Es gibt nicht wenige Reden und Erzählungen, in denen der Buddha gerade den im weltlichen Leben stehenden Menschen empfiehlt, die Sinnesvergnügungen einzuschränken zugunsten der viel intensiveren Freuden und Glücksgefühle, die aus den Jhanas kommen. Umgekehrt wird berichtet, dass solche Erfahrungen das Verlangen nach sinnlicher Befriedigung zum Schwinden bringen.
Das zeigt, dass in der Lehre des Buddha Genuss, Freude und Glücksgefühle nicht verdammt werden, aber sie werden aus den vergleichsweise niederen Ebenen der Sinne auf eine viel feinere und höhere Ebene gehoben und kultiviert. Sariputta, der Meisterschüler des Buddha, antwortete auf die Frage, warum man die Jhanas verwirklichen sollte: „Wer in ihnen weilt, der wird frei von Leid und Freude, die von sinnlichen Erfahrungen herrühren. Er wird frei von Leid und Freude, die vom Unheilsamen herrühren. Er wird frei von Leid, das vom Heilsamen herrührt." (Angereihte Sammlung 5/176, aus Köppler: So spricht Buddha)
Ein solch friedlicher und freudvoller Geist ist fähig, die Gesetze des Seins zu durchschauen und sich vollkommen zu befreien.