Geld, Liebe und Gesundheit gelten als Bestandteile eines gelungenen Lebens. Sie entwickeln sich aus der Kehrseite, dem Leid. Eine Anleitung zum Glücklichwerden.
Wir wissen meist sehr genau, was Leiden bedeutet. Alle haben Erfahrung damit. Und selbst wenn wir uns wohlfühlen, genügt ein Blick ins Internet, um uns davon zu überzeugen: Das Leiden ist die große Normalität im Leben. Und viele erwarten neue Katastrophen in der Zukunft. Das äußere Leiden wird durch Angst und Panik in Gedanken noch vervielfacht. Wenn wir also vom Glück sprechen wollen, so ist es hilfreich, mit einem Blick auf das Gegenteil, auf das Leiden, zu beginnen. Das war die Methode, die der Buddha in seiner Lehre angewandt hat. Die erste Wahrheit, die er verkündete, ist die Wahrheit vom Leiden. Viele Pessimisten berufen sich auf den Buddha und sprechen sogar ‚vom Nachteil, geboren zu sein‘ (E. M. Cioran).
Nüchtern betrachtet verbirgt sich in jeder verwirrten Moral nur die Angst vor dem Tod. Der Buddha hat auf das Leiden geblickt, um seine Ursache zu erkennen und es zu überwinden. In der christlichen Tradition sagt Thomas von Aquin: „Der Mensch nämlich ersehnt auf natürliche Weise Glückseligkeit.“ Das ist keineswegs ein Widerspruch zur Diagnose des Buddha. Wir erleben etwas als Leiden, auch weil wir das Gegenteil, das Glück, kennen und vermissen. Es mag uns oft misslingen.
Doch wir kennen alle wenigstens die kleinen Glücksmomente. Das Glück ist – wie das Leiden – unendlich vielfältig. Es gibt dafür nicht eine gemeinsame Formel. Dennoch kann man einen tieferen Grund für das Leiden und dessen Ende – das Glück – entdecken. Gerade weil wir den Grund des Leidens nicht erkennen, deshalb leiden wir. Leiden beruht auf einem Nichtwissen, Glück beruht auf einer richtigen Erkenntnis. Und um einen Einwand gleich vorwegzunehmen: Zwar ist uns der Tod gewiss und kaum jemand wird ihn als Glück betrachten, doch wenn wir durchschaut haben, was die tiefste Ursache von Glück ist, dann zeigt sich auch eine Perspektive über den Tod hinaus – durchaus ohne einen Glauben haben zu müssen.
Geld und Glück
Aber was ist eigentlich Glück? Hier ist die deutsche Sprache im Nachteil, weil sie zwei unterschiedliche Sachverhalte mit demselben Wort ‚Glück‘ bezeichnet: Glücklich-Sein im Unterschied zu Glück-Haben. Man sei glücklich, wenn man Glück hat: in der Liebe, im Beruf, an den Finanzmärkten oder beim Lotto. Es ist bemerkenswert, dass auch das griechische Wort für Glück – Eudaimonia – ursprünglich Geldbesitz bedeutete, ehe die Philosophen daraus eine umfassende Theorie des Glücks entwickelt haben.
Meist denken wir nur an dieses äußere Glück. Hier bleibt es kein Geheimnis: Dieses Glück-Haben ist sehr vergänglich. Wir können es, bei aller Technik der Moderne, nicht einfach herstellen. Gewiss sind Menschen in weiten Teilen der Erde heute reicher als in vergangenen Jahrhunderten, kaum aber glücklicher. Glück und Leiden erscheinen in einer Welt gegenseitiger Abhängigkeit. Das bedeutet: Der eigentliche Grund für Glück und Leiden ist die Vergänglichkeit. Nur weil auch das Leiden vergehen kann, kann Glück entstehen – und umgekehrt. Dass wir auch in einer viel reicher gewordenen Welt mit ihren Vergnügungen und Konsumgütern nicht glücklicher sind, hat offenbar keine äußeren Ursachen. Es beruht vielmehr auf der Einstellung zur Welt, zum Denken und zu der Art, mit Gefühlen umzugehen. Denn Glück findet sich auf seltsame Weise in der Mitte zwischen Gefühl und Geist. Die Welt lässt sich unaufhörlich schwarzmalen, genauso jedoch kann man sich in vergänglichen Träumen und Illusion verstricken.
Das trickreiche Ego
Es lohnt sich, das Leben in der Moderne genauer zu betrachten. Hier lässt sich ein großer Siegeszug des Individualismus beobachten. Ökonomen, die vielfach als Glückswissenschaftler gelten, behaupten: Menschen sind vor allem Egoisten. Um, wie der Philosoph und Ökonom Jeremy Bentham sagte, ‚das größte Glück der größten Zahl‘ zu erreichen, müsse man vor allem den Wettbewerb der Egos fördern. Darin würden die Menschen sich gegenseitig begrenzen – auch ohne Moral – und wie von einer unsichtbaren Hand zu Handlungen geführt, die letztlich alle glücklich machen sollen. Zudem entstünde so ein endloses Wachstum, ein Fortschritt, messbar im Bruttosozialprodukt: Mehr Güter, mehr Reichtum bedeuten Glück. So das Versprechen.
Dieses Versprechen wurde allerdings nicht eingehalten. Glück scheint zu einer Marktlücke geworden zu sein, jedenfalls erlauben die zahllosen Glücksratgeber auf dem Buchmarkt diesen Schluss. Auch Psychosekten versprechen Glück. Sämtliche Glücksversprechen sind jedoch durch dieselbe irrende Grundhaltung charakterisiert. Durch den Gedanken: Glück ist individuell und kommt von außen. Glück sei etwas, das man erreichen oder herstellen kann und dann auch festhalten möchte. Vor allem aber ist es stets der Blick auf das eigene Glück. Selbst eine Spende, eine Wohltat, die das schlechte Gewissen beruhigt, ist nur eines von vielen weiteren Mitteln, das individuelle Glück zu fördern.
Der große Denkfehler
Nun ist zweifellos überhaupt nichts dagegen einzuwenden, dass jeder auch für sich selbst glücklich sein möchte. Wir leben aber in einer Gemeinschaft, inmitten der Natur und anderer Lebewesen. Die Vorstellung, wir könnten allein für uns glücklich sein, wenn wir nur reichlich mit Konsumgütern versorgt sind, ist schlicht unhaltbar. Dem Satz, dass Geld nicht glücklich mache, können nur jene zustimmen, die reichlich davon haben. Glück hat durchaus auch materielle Voraussetzungen. Man kann hier von notwendigen, keineswegs aber hinreichenden Bedingungen sprechen. Doch ist Folgendes zu betonen: Das Leiden, das eine Politik nur zugunsten der Reichen zu verantworten hat, von dem Leiden, die Kriege verursachen, ganz zu schweigen – dies alles ist hergestellt und könnte sehr rasch beendet werden.
Dass dies nicht geschieht, gründet in einer fundamentalen, sehr alten, gleichwohl in der Moderne ins Maßlose gesteigerten Fehlhaltung: im Egoismus. Es ist also tatsächlich der grundlegende Denkfehler ‚Ich‘, der letztlich für alles Leiden verantwortlich ist. Neurowissenschaftler betonen zudem, dass auch unser Gehirn durch die Spiegelung jeweils anderer Menschen und Lebewesen bestimmt ist (Spiegelneuronen). Sie zeigen auch, dass praktiziertes und eingeübtes Mitgefühl, das anderen dient, zugleich einen selbst glücklich macht.
Es wird also deutlich, weshalb viele Glücksversprechen der Moderne sich als Illusion erwiesen haben. Blicken wir nochmals auf den Glücksbegriff der griechischen Philosophie, die Quelle aller moderneren Denksysteme, kann es hier einen wichtigen Hinweis geben. Das griechische Wort für Glück – ‚Eudaimonia‘ – bedeutet eigentlich, ‚von einem guten Geist (daimon) beseelt zu sein‘. Diese Definition ist der buddhistischen Auffassung gar nicht so fremd. Entscheidend ist, von welchem Geist wir sprechen. Wenn es ein fremder Geist ist, der uns glücklich machen soll, so ist der Weg nicht weit zu bloß äußerlichen Vergnügungen: im Sex, bei Partys, durch Rauschmittel und die Ideale der Werbung wie Urlaub, Meer, Strand, Sonne, gutes Essen oder gelegentliche Abenteuer. Dieser Geist des Glücks kommt von außen und ist vor allem eines: vergänglich. Spricht man aber im Sinn der Eudaimonia vom eigenen Geist, so eröffnet sich eine völlig andere Perspektive.
Alle gemeinsam
Hier ist es hilfreich, ein wenig genauer auf die buddhistische Tradition zu blicken. Keine andere Religion rückt die Analyse des Leidens so sehr ins Zentrum. Dies geschieht, um es durch Erkenntnis zu überwinden und so auch das Glück zu fördern. Die ‚Erste Edle Wahrheit‘ im Buddhismus, die vom ‚Leiden‘, hat also einen tieferen Sinn als nur den, dass wir Zahnschmerzen oder einen Vermögensverlust erfahren. Wir leiden, weil wir keine völlig autonomen, nur auf einem getrennten Ich thronenden Wesen sind. Vielmehr sind wir endlos verflochten mit der Welt, sind verbunden mit anderen Menschen und mit der Natur. Der letzte Grund für alles Leiden liegt gerade darin, dass wir stillschweigend in unserem Denken voraussetzen, wir seien ein getrenntes Ich in einer vergänglichen Welt, die nichts dauerhaft festzuhalten erlaubt.
Leiden entsteht also, weil wir in eine Illusion verstrickt sind. Zwei Vorstellungen machen diese Illusion aus: Erstens der Gedanke, das Äußere sei mit einem selbst identisch, werde von einer faktisch als ewig unterstellten Natur getragen. Doch auch die Naturphänomene sind in längeren oder kürzeren Zeiträumen vergänglich. Das gilt vermehrt noch für alle menschlichen Angelegenheiten: Nichts bleibt, weder Besitz noch Beziehungen, weder Gesundheit noch Kraft. Eine zweite Vorstellung ist noch gravierender. Wir glauben an ein unveränderliches Ich. Nicht nur Philosophen, auch die Religionen haben immer wieder von einem ewigen, unsterblichen Ich geträumt.
Dieser Artikel erschien in der Ursache\Wirkung №. 108: „Anleitung zum Glücklichsein"
Das große Loslassen
Wie sich aber nicht nur unser Ich über die Jahre verändert, so wandeln sich auch die Selbstbilder und mit ihnen die Hoffnungen und Ängste des Lebens. Was jeweils als Glück ersehnt wird, wandelt sich mit einem sich wandelnden Ich. Man könnte sagen: Wir sind unglücklich, weil wir aus der Ich-Perspektive unablässig nach einem höchst vergänglichen, immer wieder neu definierten Glück streben. Selbst wenn wir es vorübergehend erreichen, so ist das, worin es sich zeigt, etwa Partnerschaft oder materieller Erfolg, durchaus vergänglich. Am Ende steht – und dies todsicher – das schmerzliche Loslassen-Müssen.
Im Buddhismus wurden viele Wege beschrieben, um mit dieser existenziellen Grundsituation umzugehen. Man kann aber nahezu alle diese Methoden durch zwei Worte zusammenfassen: Loslassen und Achtsamkeit. Was immer uns als Leiden oder als Glück auch begegnen mag im Leben, es ist stets so zu charakterisieren: Um es als Glück oder Leiden zu erfahren, muss es in unser Bewusstsein eindringen. Das Gewahren – ein anderes Wort für Achtsamkeit – ändert sich nie, wohl aber der Inhalt dessen, was gewahrt wird. Es ist vergeblich, das jeweils Erlebte festhalten zu wollen. Wir müssen alles immer wieder loslassen. Das Loslassen-Müssen kann man aber auch tun. Es wird so zur Gelassenheit. Vor allem beim Loslassen der Ängste und Gedanken. Einmal erkannt, ist das Loslassen sogar das eigentliche Glück.
Denn was macht uns glücklich? Ergreifen heißt Anspannung; Glück bedeutet das Gefühl der Entspannung. Ein erfüllter Wunsch macht uns glücklich, weil wir das von Hoffnung und Angst begleitete Wunschdenken loslassen können. Haben wir dann aber etwas erreicht, so haben wir wiederum Angst, es zu verlieren. Anstatt also den Umweg über das Ergreifen zu gehen, können wir sogleich in den eigentlichen Glücksgrund einkehren: die eigene Achtsamkeit. Sie mag zunächst mit einer Kontemplation, der Erfahrung einer Erfüllung beginnen. Doch das wahre Glück zeigt sich dann, wenn die Gedankenunruhe abgeklungen ist und wir in einem Offenen verweilen, das von nichts mehr abhängig ist. Wir sind dann diese Offenheit geworden. Kontemplative Meditationstechniken können dies bewusstmachen. Glück erwächst also nicht aus einem ergreifenden Tun. Aber es zeigt sich im Loslassen. Es ist schon da, wie die Stille unter dem Lärm.
Solange wir verkörpert leben, müssen wir ergreifen und handeln. Aber wir können alles auch wieder gehen lassen. Es genügt, sich die Vergänglichkeit bewusstzumachen und sie einfach geschehen zu lassen. So können wir immer wieder in das darin verborgene Glück des reinen Gewahrens einkehren, das als endgültige Heimkehr ‚Nirvāna‘ heißt: „Nirvāna ist vollkommenes Glück.“ (Mil. IV, 8) Was immer auftaucht zwischen Geburt und Tod, all dies vergeht in der Zeit.
Gazellensanftes Gemüt
Wie der Mönch Bhaddiyo das Glück sieht Den buddhistischen Weg nennt man auch einen Weg der Befreiung. Wovon wird man unterwegs frei? Der Buddha fragte seinen Schüler Bhaddiyo: „Warum sagst du immer wieder, wenn du in den Wald gehst: ‚Oh, dieses Glück! Dieses Glück!‘?“ Der Schüler antwortete: „Früher war ich im Palast umgeben von Wachen, vor den Gemächern, vor dem Haus, außerhalb der Stadt. So war ich ängstlich, aufgeregt, misstrauisch, schreckhaft. Heute aber wenn ich in den Wald gehe, da lebe ich angstfrei, frei von Aufgeregtheit, frei von Misstrauen, frei von Schreckhaftigkeit, entspannt, ungestört, von anderen versorgt, mit einem gazellensanften Gemüt.“ (Udana II.10) Glück besteht also in der Befreiung des eigenen Geistes von Angst, im Loslassen des Misstrauens, der Aufgeregtheit. Allerdings ist dieses Freiwerden kein endgültiges. Denn, wie Bhaddiyo selbst sagt, er ist weiterhin abhängig von anderen, wird ‚von anderen versorgt‘. Dieses Mönchsideal kann in der Moderne also nur noch sehr vereinzelt gelebt werden. Dass wir uns selber versorgen, mag unsere Freiheit einschränken. Dennoch kann man das Glück finden in der Befreiung des Geistes von Angst, Aufgeregtheit und Misstrauen. Und wir können die Sprache der Achtsamkeit hinzufügen – das Lächeln. |
Bhutans Bruttonationalglück Bhutan ist nicht nur stolz darauf, ein Carbon-neutrales Land zu sein, es gibt auch den Index des ‚Bruttonationalglücks‘, einen Versuch, sich von der materialistischen Geldkultur zu distanzieren. Der bislang neueste Bericht zur ‚Gross National Happiness‘, ‚A Compass Towards A Just And Harmonious Society‘ (2015), zeigt: Der Glücksindex des Landes steigt. Was der Glücksreport jedoch übergeht, sind ökonomische Tatsachen: Das Importdefizit Bhutans steigt kontinuierlich, man ist von Produkten und Finanzmitteln aus der übrigen Welt abhängig. Es ist also doch nur ein geliehenes Glück. Man kann auch in einem buddhistischen Land die buddhistische Erkenntnis der gegenseitigen Abhängigkeit (pratītyasamutpāda) nicht ignorieren. |
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