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Leben

Fünf Menschen erzählen über ihr Zen, ihre Individualität und ihren Ausdruck.

Ich bin das Universum
Ginette Bazin,  Lehrerin und Pensionistin, Rinzai-Zen, Frankreich und Wien

„Dann soll er im höchsten Grad der Geistessammlung sein Denken festigen, beruhigen, auf einen einzigen Gegenstand richten und sammeln. Ist ihm dies beim Achten auf die Leerheit in seinem Inneren oder außerhalb... gelungen, dann weiß er das und ist sich dessen durchaus bewusst."
Mittlere Sammlung, übersetzt von Kurt Schmidt

Ich habe bemerkt, dass mit weniger „ich will, ich will nicht..., ich mag, ich mag nicht..." das Leben leichter, harmonischer geworden ist. Einfach jede Situation vollkommen akzeptieren, wie sie ist, ohne zu verurteilen. Zen bringt mir Ruhe. Alles ist miteinander verbunden – das ist mir jetzt klar. Alles hat denselben Ursprung. Es gibt nichts, was allein, unabhängig existieren kann. Ich bin ein Teil von diesem Ganzen. Ich habe meiner Umwelt gegenüber eine Verantwortung, was immer ich mache, sage oder sogar denke, hat Einfluss auf meine Umgebung. Zen ist ein Weg, um herauszufinden, wer ich bin. Wenn es mir bewusst wird, wie ich reagiere, habe ich mehr Einfluss auf mein Leben. Zen ist auch der Weg, der mir hilft, ein tieferes Verständnis für das Universum zu bekommen: Alles, ob Menschen, Tiere oder Pflanzen, entsteht und vergeht. Alles, was existiert, hat denselben Ursprung, es gibt nichts, das einen beständigen, festen Kern besitzt, sondern alles ist leer und verändert sich ständig. Wenn ich lange sitze, treten Schmerzen, Gefühle auf, aber keine Widerstände.

 

Ich bin mir selbstverständlich
Peter Jurkowitsch, Lehrer, Kyudo Zen-Bogenschießen

„Die Gärtner bauen gute Wasserrinnen,
die Pfeilemacher bearbeiten sorgfältig die Pfeile,
die Zimmerleute formen ausdauernd ihr Holz,
die Weisen bearbeiten und formen ihren Geist."
Dhammapada, übersetzt von Paul Köppler

Auf die Frage, was Zen bedeutet, lautet meine Antwort: Keine Ahnung. Ich mache nicht Zen – ich ziehe meinen Bogen und schieße meinen Pfeil ab. Der Moment des Abschusses: Ichlosigkeit. Kein Verlangen, kein Ziel. Ich stehe nicht vor dem Ziel, sondern vor mir selbst. Welches Ziel? Das Ziel wird zum Zustand des eigenen Geistes. Vor der Erleuchtung: Vor der Erleuchtung gehe Wasser holen und Holz hacken, nach der Erleuchtung gehe Wasser holen und Holz hacken. Der Weg des Rituals hat eine natürliche Ordnung, eine innere Logik. Mit der Übung werden die Bewegungsabläufe immer achtsamer und klarer. Die innere Einstellung bestimmt die äußere Form. Die äußere Form bestimmt das Innere. Wo ist da der Unterschied? Es gibt nichts zu sagen, nur Stille: Ich lehre von Herz zu Herz. Ich übe, seit ich bewusst bin. Die Frage, ob ich das möchte, hat sich mir nie gestellt. Wenn der Bogen zerbricht und es keine Pfeile mehr gibt, dann nimm dein Herz und schieße. So wie der Pfeil sich von der Sehne löst, ist es möglich, das Ego loszulassen. Ich stehe da und weiß nichts von mir, ich bin mir selbstverständlich. Ich stehe vor mir.

 

Ich habe mich leer gemacht
Oliver Roman, Künstler und Bildhauer, Wien

„Im Walde, am Fuße eines Baumes... setzt er sich nun mit unterschlagenen Beinen nieder, den Körper gerade aufgerichtet und die Achtsamkeit vor sich heftend. Weltliche Begierde hat er überwunden; mit einem Geiste frei von Begierde weilt er, von Begierde läutert er seinen Geist."
Angereihte Sammlung, übersetzt von Nyanatiloka

Ich stelle Kunst aus Bäumen her und das ist für mich Zen – besser gesagt, meine Herangehensweise. Ich liebe die Einfachheit und brauche die Klarheit. Arbeiten mit Bäumen bedeutet für mich, das Leben und die Welt in ihrer Einzigartigkeit, Einfachheit und auch wieder in ihrer Komplexität zu erfassen. Während des Arbeitens leere ich mich. Ich bin in einem ruhigen und gesammelten Zustand – als meditiere ich. Zehn Jahre lebte ich zurückgezogen und einsam im Waldviertel. Über diese Ruhe in der Abgeschiedenheit, mithilfe von Meditation und Yoga, fand ich meine innere Klarheit. Geholfen haben mir die Natur und die Bäume. Die Natur ist für mich wie ein Reset-Knopf. Ich zerlege die Bäume nicht, ich lasse ihnen ihre Individualität, ihren Charme und ihre Intelligenz und sehe sie in ihrer Ganzheitlichkeit. Jeder Baum ist ein Unikat – genial und intelligent, gewachsen mit den natürlichen Qualitäten. Wie auch im Zen. Ich sehe, was da ist, ich suche, was in der Natur vorhanden ist. Ich habe von Anfang an das gesamte Kunstwerk vor mir.

 UW67SCHW Die Kunst der Leerheit4

Ich möchte die Leere hören
Werner Kodytek, zeitgenössischer Musiker und Komponist, Ungarn

„Solchen Gemütes, innig, geläutert, gesäubert, gediegen, schlackengeklärt, geschmeidig, biegsam, fest, unversehrbar, richtet und lenkt er das Gemüt auf die himmlische Hörkraft. So kann er mit dem himmlischen Gehör beide Arten der Töne hören, die himmlischen und die irdischen, die fernen und die nahen. Das ist ein sichtbarer Lohn der Asketenschaft."
Längere Sammlung, übersetzt von Karl Eugen Neumann

Als musizierender Buddhist geht es mir um das Hören der Leerheit. Um sie hörbar zu machen, orientiere ich mich an der Zen-Belehrung: in den Klang eingehen, jedoch nicht von ihm betört werden. Das bedarf aber eines anderen Hörens, eines, das nicht diskriminiert. Ich darf mich nicht mit dem Gehörten identifizieren, sodass jeder Ton zu seinem Ursprung zurückkehren kann. Klang ist wie Stille, Stille ist wie Klang – und das sollte gehört werden können. Meine Musik bewegt sich auf zwei Spuren: Ich komponiere Musik für buddhistische Zeremonien, hymnische Gesänge und Anrufungen, und zum anderen spiele ich Musik, die meine buddhistische Haltung rüberbringen soll. Leider wird im Zen das Kraftpotenzial der Visualisierungen oder der Kreativität zum musischen Ausdruck weniger genützt und gefördert – im Vergleich zu anderen Traditionen. Ich selbst ziehe es vor, mir die Vielfalt der Mahayana-Traditionen zugutekommen zu lassen. So bleibt die Inspiration am Köcheln, die Kunst des sich selbst Kitzelns.

 

Ich möchte kein Bonsai sein
Akemi Takeya, Performerin für Body und Voice, Tokio und Wien

„Einmal des Tags nimmt er Nahrung zu sich, nachts ist er nüchtern, fern liegt es ihm, zur Unzeit zu essen. Von Tanz, Gesang, Spiel, Schaustellung hält er sich fern. Kränze, Wohlgerüche, Salben, Schmuck, Zierrat, Putz weist er ab."
Längere Sammlung, übersetzt von Karl Eugen Neumann

Butoh heißt so viel wie ‚stampfender Tanz' und ist eine Kombination aus den chinesischen Zeichen ‚Tanz' und ‚stampfen'. Butoh ist keine Technik, sondern ursprünglich, persönlich, individuell, formlos und frei. Der Japaner Tatsumi Hijikata war der erste Butoh-Tänzer. Viele Schüler tanzen heute seinen Stil und seine Form. Ich bin keine Butoh-Tänzerin – andere sehen mich aber so. Im Zen, im Butoh-Tanz, aber auch in meinen Performances sucht man doch das wahre, eigene Selbst, oder? Ich habe meine eigene Art der Bewegung gesucht. Ich stelle mich immer wieder aufs Neue infrage, achte, wie ich mich im Moment fühle. Früher war ich immer nur ich, heute denke ich schon im ‚wir'. Ich habe nie Zen gemacht – wenn man es nach den Regeln beurteilt. Ich spüre mühelos, ob in mir alles klar ist. Gibt es negative Gefühle in mir, bewege, schreibe oder singe ich mich wieder klar. Das ist mein Zen-Weg. Ich versuche, mich immer klar zu sehen. Das ist, wie ich bin. Strecke ich mich zum Himmel, habe ich das Gefühl, den Moment zu spüren. Übrigens – ich bin kein Bonsai, sie wachsen unter Zwang in eine bestimmte Form. Das steht mir nicht. Ich strecke und tanze mich dorthin, wohin ich möchte.

 

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Christina Klebl

Christina Klebl

Christina Klebl, 1979, ist ehemalige Chefredakteurin von Ursache\Wirkung. Sie hat Psychologie an der Universität Wien studiert, leitet das Seminarzentrum im Mandalahof und ist Geschäftsführerin des Radiologieinstitut  Bellaria.
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