Wie ist es denn so im Leben? Soll ich, darf ich, muss ich mich dankbar fühlen dafür, wie es läuft?
Wenn es stimmt, dass Intelligenz die Fähigkeit ist, Komplexität zu reduzieren (war es Niklas Luhmann, der das gesagt hat?), dann darf ich die vielfältigen Ereignisse, denen ich im Leben so begegne, jetzt mal sehr vereinfacht in vier Arten einteilen.
Entweder es läuft gut, oder es läuft nicht so gut; und in jedem der beiden Fälle bin ich entweder selbst daran schuld oder nicht. Wenn es gut läuft und ich bin nicht daran schuld, fällt es mir leicht, dankbar zu sein. Da habe ich entweder einfach Glück gehabt, weil genau an dem Tag, den ich mir freigenommen habe für eine Fahrt an die Mecklenburgischen Seen, das Wetter so unfassbar schön ist. Oder jemand hat mir etwas geschenkt, einfach so und nicht, weil ich es verdient hätte. Beides ist ein unverdientes und oft auch unverhofftes Glück, da möchte ich dem Himmel danken, dass mir das widerfährt.
Das ist der leichteste Fall von Dankbarkeit.
Eigenlob duftet
Ein bisschen anders ist die Situation, wenn es gut läuft, aber ich bin selbst die Ursache davon. Etwas ist gut ausgegangen, aber ich selbst bin es, der das so in die Wege geleitet hat. Das gute Ergebnis darf ich nun mir selbst zuschreiben. Ich darf mir auf die Schulter klopfen, weil ich es gut gemacht habe und nun die Früchte ernte. Das ist aber eher Eigenlob als Dankbarkeit, und Eigenlob stinkt, wie das deutsche Sprichwort sagt.
Wirklich? Manchmal duftet Eigenlob auch, finde ich. Auf so vieles darf man stolz sein und dann sich selbst loben, wenn es denn sonst niemand tut – der Do-it-yourself-Weg in Sachen Anerkennung. Das ist immerhin besser als eine Depression oder als ein Wahrnehmungsfilter, der nur das nicht Gelungene durchlässt.
Der weite Blick
Es gibt aber noch einen viel weiteren Blick auf das, was gut gelungen und von mir verursacht worden ist, denn die Fähigkeiten, die mir ermöglicht haben, dieses gute Ergebnis zu erzielen, sind letztlich nicht auf meinem Mist gewachsen. Egal, ob es körperliche oder geistige Fähigkeiten waren oder die Umstände, unter denen es mir gelungen ist. Ich bin nämlich nicht für die Talente, mit denen ich einen Erfolg erziele, verantwortlich – es sei denn, es waren von mir selbst entwickelte Talente, aber dann kann ich nichts dafür, dass ich die Fähigkeit hatte, sie zu entwickeln, was eine Begabung ist, eine mir gegebene Gabe. Letztlich, bei genauer Ursachenforschung, habe ich nicht verdient, dass es gelungen ist. Es ist ein Geschenk. Dieser weite Blick auf die Verhältnisse wird dann ein dankender sein.
Aus dem Scheitern lernen
Nun kommen wir zu den schwierigeren Fällen, in denen etwas schlecht gelaufen ist. In der ersten Kategorie sind das die Fälle, die ich als gescheitert, verzockt, misslungen bewerte und wo ich überzeugt bin, dass ich mir das selbst eingebrockt habe. Kann man für so etwas Dankbarkeit empfinden? In der spirituellen Szene ist es üblich, dann zu sagen: „Da habe ich wieder etwas gelernt!“ Gesegnet ist, wer das kann. Manchmal klingt das allerdings wie ein Schönreden von einem Desaster, das man in seiner krassen Wahrheit nicht hinnehmen will und über das man sich dann belügt.
Da unser Lebensweg jedoch einer von Versuch und Irrtum ist, können wir auch misslungene Projekte als lehrreich ansehen, als Trittsteine auf einem Weg in eine gute Zukunft. Ein Scheitern, für das man Verantwortung übernimmt, kann sich in der Folge als großer Gewinn erweisen – und für den empfindet man dann Dankbarkeit.
Den Teufel zu sich holen
Und nun zum schwierigsten der vier Fälle. Etwas ist wirklich blöd gelaufen, ein großer Verlust ist für mich entstanden und ich kann beim besten Willen nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Es sei denn, ich ziehe irgendeine Erklärung an den Haaren herbei, wie etwa ein früheres Leben, die Erbsünde, meine auf Kirlianfotos sichtbare Aura oder die ungünstige Stellung von Saturn an dem Tag, an dem das Unglück geschehen ist. Dafür dankbar sein? Nicht mit mir. Der Teufel soll sie holen, diese spirituellen Tugenden.
Wir können aber den Teufel (zu uns) holen, bevor er uns holt – „Wir schaffen das.“ Wir können den großen Widersacher ‚ins Gebet‘ nehmen als Teil unserer eigenen inneren Figuren: Wir können das Äußere reinnehmen und zu einem Inneren machen, zu einem Teil unseres Weltinnenraums, denn: „Tat tvam asi – auch das bin ich!“ Dann kann man auch für ein solches Ereignis Dankbarkeit empfinden.
Ich frage mich bei so etwas manchmal: Will ich wirklich am Leben sein? Will ich dieses Leben auskosten in seiner ganzen Fülle? Will ich in diesem Film, der da mein Leben heißt, die Hauptrolle spielen und so als Held durch alle Höhen und Tiefen gehen? Ohne die Tiefen würden auch die Höhen fehlen, die Spannung der Polarität würde fehlen, es wäre alles nur Flachland. Ich möchte nicht Hiob sein, diese bedauernswerte Figur aus dem Alten Testament, egal, wie viele Karmapunkte ich dafür in der Akashachronik bekäme, aber … ich kann es aushalten, wenn das Unglück mich mal trifft. Und letztlich, in allerletzter Instanz, bin ich dankbar dafür, dass ich das erleben darf. Inklusive allem.
Nicht verdient und nicht erworben
Das Wichtigste, was uns im Leben Freude macht und glücklich sein lässt, ist schon da, ehe wir irgendetwas Verdienstvolles tun können. Wir haben es uns nicht erworben oder gekauft. Dazu gehören die Liebe, mit der wir als Babys betreut und versorgt wurden; die Luft zum Atmen, das Wasser zum Trinken, das Glück der sinnlichen Erfahrung. Auch die Fähigkeit zu sprechen und zuzuhören, zu lesen und zu schreiben und so eingebunden zu sein in ein Gewebe, das uns Sinn gibt. Das Lächeln eines Kindes, das uns anstrahlt, das Spiel einer jungen Katze, der wir zusehen dürfen, das Glitzern von Sonnenlicht auf dem Wasser, eine menschliche Stimme, die singt oder ein Orchesterklang. Mein Körper, mit dem ich mich bewegen kann; egal, wie alt ich bin, irgendetwas kann sich immer noch bewegen, und vielleicht gehöre ich sogar zu den Glücklichen, die ohne große Einschränkungen sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen können. Habe ich das verdient oder mir mit Fleiß erworben?
Mut zum Widerstand
Auch wenn ein kluger Mensch einmal gesagt hat, ab dem Alter von 40 sei man für sein eigenes Aussehen selbst verantwortlich, vorher kann man die Schuld daran noch woanders verorten – im Wesentlichen haben wir das, was uns am meisten Glück beschert, nicht gekauft und nicht verdient, sondern geschenkt bekommen. Sich daran zu erinnern lässt ein Gefühl der Dankbarkeit entstehen, das uns dann als Hintergrundmusik tragen kann auch bei dem, was als nicht geglückt erscheint, oder wo ein Mensch dich so behandelt, dass ein klares „So nicht!“ eine angemessenere Antwort darauf ist als ein gesäuseltes „Danke!“. Auch die eigene Fähigkeit zum Widerstand gegen Missbrauch und Zumutungen ist etwas, wofür wir dankbar sein können. Danke, dass ich mich wehren konnte! Die Fähigkeit dazu hat der Himmel mir geschenkt, was für ein Glück!
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