Als der indische Zen-Patriarch Bodhidharma im 6. Jh. nach China kam, suchte ihn Kaiser Wu auf und fragte ihn: „Was ist die Essenz des Buddhismus?"
Bodhidharma antwortete: „Offene Weite, nichts von heilig." Zen ist ‚nichts Besonderes'. Also wozu das Ganze?
Zen im Westen
Das japanische Wort ‚Zen' bedeutet schlicht und einfach ‚Meditation'.
Dies zeigt schon, dass Meditation einen sehr großen Stellenwert in diesem Zweig des Buddhismus einnimmt.
Um Zen zu praktizieren, ist es nicht notwendig, an irgendetwas zu glauben. Es geht um Selbsterfahrung im ursprünglichen Sinne des Wortes – um die Erkenntnis, wer ich im Grunde bin.
Direkt zurückgehend auf den historischen Shakyamuni Buddha hat sich der Zen-Buddhismus im Laufe der Jahrhunderte über China bis nach Japan und Korea ausgebreitet. Im 20. Jahrhundert schließlich erreichte Zen den Westen.
LehrerInnen verschiedener Zen-Richtungen aus Japan, Korea und China haben den Westen bereist bzw. sind auch geblieben, um ständig im Westen zu lehren. Bei der Reise des Zen-Buddhismus über die Jahrhunderte hinweg wurde die Form und Ausübung immer wieder durch die kulturellen Einflüsse verändert und an die Gegebenheiten angepasst. So hat sich auch seit der Ankunft des Zen im Westen die Zen-Übung auf lebendige Weise verändert und ist keineswegs nur die reine Kopie einer asiatischen Methode.
Zen-Übung und Zen-Praxis
Die Elemente der traditionellen Zen-Übung sind Zazen (Meditation im Sitzen), Kinhin (Meditation im Gehen) und gemeinsame Rezitation von buddhistischen Sutren.
Die Schlichtheit der Übung spiegelt sich in der schnörkellosen Einrichtung des Meditationsraumes (Zendo oder Dojo) wider. Abgesehen von Sitzkissen, Matten und einer Buddha-Statue ist nicht allzu viel Ablenkendes zu finden.
Die aufrechte Sitzhaltung und die Konzentration und Verbundenheit mit dem Atem unterstützen einen ruhigen und klaren Geist.
Kein Denken an irgendetwas Besonderes, sondern Nicht-Denken und Präsenz im Hier und Jetzt stehen im Vordergrund der Übung.
Die Präsenz im Zazen wird zusätzlich durch die Betonung des Hara (unseres natürlichen Körperschwerpunktes unterhalb des Nabels) und der Erdung in der Art und Weise unserer Sitzhaltung mit gekreuzten Beinen am Sitzkissen unterstützt. (Bei körperlichen Problemen ist es im Übrigen ohne weiteres möglich, auf einem Stuhl Zazen zu üben.)
Für die Praxis des Zen müssen wir uns nicht dauerhaft von der Welt zurückziehen. Auch die Zen-Klöster werden als zeitweilige Trainings- und Ausbildungszentren verstanden und nicht als ständiger Lebensmittelpunkt eines Zen-Schülers.
Die Übung des Zazen ist aufgrund ihrer Einfachheit und Reduzierung recht leicht aus dem buddhistischen Kontext herauszulösen und bietet die Möglichkeit von alternativem Gebrauch und Missbrauch.
So kann Zazen per se für den Einzelnen durchaus eine geeignete Methode zur Entspannung und zum Abschalten vom unruhigen Alltag sein. Auch im christlichen Rahmen wird Zazen praktiziert und Sesshin (= Zen-Retreats) von christlichen Geistlichen angeboten.
Für die Beat- und Hippiegeneration der Nachkriegszeit in den USA war die Radikalität und Nonkonformität des Zen eine willkommene Abkehr von den festgefahrenen Lebens- und Moralvorstellungen der etablierten amerikanischen Gesellschaft.
Manager japanischer Unternehmen hingegen wurden in Nachkriegszeiten im Hinblick auf die Effizienz ihrer Arbeit für einige Zeit in Zen-Klöster geschickt.
Und die Zen-Lehre des Nicht-Selbst und des Nicht-Denkens wurde im faschistischen Japan während des 2. Weltkrieges dazu missbraucht, um die Soldaten für den Krieg (z.T. als Kamikaze) zu instrumentalisieren.
Allein das letzte Beispiel zeigt, wie wichtig die Einbettung der Zen-Übung in den Buddhismus bzw. wie bedeutsam die Verbindung mit ethischen Regeln ist, um Missbrauch zu verhindern.
Die Bedeutung der Praxis
Über die Methode der Zen-Übung hinausgehend bedeutet zen-buddhistische Praxis Selbsterkenntnis im tiefsten Sinn des Wortes – das Erkennen der eigenen ursprünglichen Wesensnatur. Diese Erkenntnis umfasst und durchdringt alle Ebenen unseres Seins.
Damit einher geht das Bemühen, alle Aspekte des täglichen Lebens bewusst zu integrieren und als Teil des Zen-Weges zu verstehen.
Das ist nicht immer angenehm. Das Scheitern in manchen Lebenssituationen und zwischenmenschlichen Konflikten ist genauso darin enthalten wie die schönen Momente, wo wir uns frei fühlen – in Harmonie und ‚Frieden mit der ganzen Welt'.
Zen-Praxis wird also hier und jetzt im Alltag gelebt. Unsere Achtsamkeit, unser Gewahrsein ist der Schlüssel im Umgang mit den unterschiedlichen Spielarten des Alltags.
Die Qualität der Praxis zeigt sich in der Beziehungsfähigkeit zu sich selber, zur Umwelt und den Mitmenschen.
Die Erfahrung des Absoluten
In der Zen-Tradition wird die direkte Einsicht in die Essenz des Buddhismus jenseits von Worten und Schriften betont.
So viel buddhistische Texte ich auch lesen mag, so viel Wissen dadurch erlangt wird, die Erfahrung meines ursprünglichen Wesens, der Eigen-Natur, die gleich mit der Buddha-Natur ist, lässt sich dadurch nicht ersetzen.
Was bringt uns die Erfahrung des Absoluten?
Die Einsicht und Erfahrung des Absoluten bedeutet nicht, dass ich ‚ewig dort' bleiben kann.
Sie transzendiert Zeit und Raum und doch kommt der Einzelne ohne Zweifel wieder zurück in die Welt der Unterscheidung. Die Welt der Unterscheidung ist die Welt des Du und Ich, die Welt der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Freude und Schmerz, das schmutzige Geschirr in der Küche und der (un)freundliche Mensch nebenan.
Die Essenz der Einheits-Erfahrung bedeutet, dass die Welt der Unterscheidung im Grunde eins ist. Alle Wesen und alle Erscheinungsformen sind im Grunde Buddha.
Das ist die Weisheit (prajna) des Buddhismus.
Wenn alles im Grunde eins ist, wie kann ich dann einen anderen Menschen ausgrenzen oder ablehnen?
Ich teile mit allen anderen diese eine Welt und kein Lebewesen steht außerhalb dieser Welt.
Das ist und impliziert buddhistisches Mitgefühl. Das meint auch die ‚offene Weite', die Bodhidharma Kaiser Wu vermitteln wollte.
Mitgefühl und Weisheit sind der Ausdruck von gelebter Zen-Erfahrung.
Um es jetzt nicht zu anspruchsvoll und hypothetisch klingen zu lassen:
Ein klein wenig von der Erfahrung des Absoluten – der Geschmack und der Hauch dieser allumfassenden Erkenntnis – bedeutet ganz einfach ein bisschen mehr Weisheit und ein klein wenig mehr Mitgefühl im eigenen Leben.
Auch nicht schlecht.
Für wen ist Zen ein passender Übungsweg?
Manche fragen nicht und sind glücklich ohne Zen. Das ist fein.
Viele suchen in Zen eine Alternative, weil sie gerade persönliche Schwierigkeiten haben.
Manche probieren es einfach aus. Auch gut. Wer sich unklar ist, ob Zen ein hilfreicher Übungsweg ist, kann sich ja Gedanken über die Qualität der Beziehungen im eigenen Leben machen. Auf der Beziehungsebene zeigt sich das Maß unserer menschlichen und spirituellen Reife. Zum Beispiel:
Wie schaut es in der eigenen Familie und mit den ArbeitskollegInnen aus?
Ist mein Leben sinnerfüllt bei gleichzeitigem Respekt vor den anderen?
Bin ich einsam?
Ist mein Leben von der Angst vor dem Tod bestimmt? Im Übrigen:
Es gibt viel über Zen zu lesen und zu hören, aber nichts kann die eigene Erfahrung auf dem Sitzkissen ersetzen.