Zu den liebsten Stellungswechseln des Alltags zählt für mich das Ausstrecken im Bett nach einem vollen Tag. Zugegebenermaßen gönne ich mir das aus aktuellem Anlass seit einigen Wochen eher später, doch das ist eine andere Geschichte. Und es hat offenbar seinen Preis.
Es soll ja Menschen geben, die mit fortgeschrittenem Alter bereits im Sitzen einschlafen. Ein mir nahestehender Verwandter zum Beispiel. Sobald ich mich in seiner Gegenwart mit einer dritten Person unterhalte, kann ich ihm zuschauen, wie seine Beteiligung an der Unterhaltung spärlicher wird und sein Kopf langsam nach unten sinkt. Spricht man ihn nach ein paar Minuten an, weil man respektiert, dass der Mann ja auch einfach nur müde sein könnte, merkt man, dass das Desinteresse an den Inhalten der Unterhaltung der Müdigkeit gegenüber überwiegt. Mei, muss man eben aushalten, auch wenn man es anders gewohnt ist.
Mein ehemaliger Lebensgefährte, ebenfalls ein Blitzschläfer, brauchte nur fünf Minuten meinen Ausführungen zu lauschen und schon war er weg. Irgendwo, nur nicht im Gespräch. Er rechtfertigte sein schnelles Wegknacken immer mit dem angenehmen Ton meiner Stimme – netter Versuch. Bei den Kindern hat das allerdings nie geklappt. Die konnten von den Märchen, die ihnen in einer Rudelkuschel-Situation vorgelesen wurden, nicht genug kriegen. Und müde wurden sie davon erst recht nicht.
Daraus gelernt habe ich zweierlei. Ich überlege mir ernsthaft, ob mir ein Thema so wichtig ist, dass ich fünf Minuten darüber rede, wenn ich weiß, dass mein Gegenüber irgendwann einmal wegbricht. Denn auch wenn mein Selbstbewusstsein nicht zu den unterirdischen zählt, stimmt es mich trotzdem nachdenklich – bei aller lieb gemeinten Beschwichtigung. Meinem Verwandten gegenüber versuche ich Themen anzuschneiden, die ihn interessieren – die anderen werden gestundet.
Und jetzt das. Als mich mein immer noch hoffnungsvoller türkischer Verehrer kürzlich fragte, welcher Konfession ich anhinge, kam „Patchwork“ schneller aus meinem Mund, als ich nachdenken konnte. Und es stimmt schon. Ich finde in jeder Religion etwas Faszinierendes, was ich in mein Leben integriere. Aus dem Christentum die Tradition, aus dem Sufismus die 99 Namen der Liebe, aus dem Buddhismus die Meditation und hinter meinem Schreibtisch stehen zwei Ganesh-Statuen, zu dessen Angelegenheiten die Poesie, Schrift und Literatur gehören. Und wenn ich ein spirituelles Thema finde, über das ich noch wenig weiß, will ich mich kundig machen.
Im aktuellen Fall: syrische Spiritualität. Ich war zwei Mal in diesem Land, das durch seine Gastfreundschaft mein Herz gewonnen hat und es durch den Krieg martert. Sollte ich jemals wieder hinkommen, werden meine Erinnerungen mit der Realität in keiner Weise übereinstimmen. Genau deshalb möchte ich meiner Verbundenheit anders Ausdruck verleihen, eben auch durch die Beschäftigung mit der Spiritualität des Landes.
Und dann schlafe ich ein! Ein ehrwürdiger Mann in vollem Ornat spricht genauso ehrwürdig, mit warmer Stimme, in einem eher stickigen Hörsaal, auf Englisch. Schon der Beginn seiner Ausführungen macht mich unruhig, was ich daran merke, dass ich wahlweise auf dem rechten oder linken Unterschenkel sitzen will und mir die konventionelle Sitzweise völlig egal wird. Irgendwann knickt die Wirbelsäule ein, und mein Oberkörper landet auf dem Pult. Ich muss den Metropoliten ja nicht ansehen beim Zuhören, denke ich mir noch. Das Nächste, was ich wahrnehme, ist eine sanfte Berührung meines Unterarms. Mein Begleiter – genau der, der nach einer Fünf-Minuten-Berieselung meiner Stimme immer eingepöselt ist – holt mich in die Gegenwart zurück. Und ich höre das einzig Konkrete, was den Hörsaalschlaf wettmacht: „Ein mitfühlendes Herz ist ein brennendes Herz, das für die gesamte Schöpfung schlägt.“ Ich glaube, ich habe nicht sehr viel verschlafen. Das Wichtigste kommt eben doch immer zum Schluss.