Schlechtes Gewissen – was ist das eigentlich? Kürzlich damit konfrontiert, denke ich immer noch darüber nach, woher das kommt. Und wohin es geht – also mit einem. Und ob man es zwischendurch nicht vielleicht doch ad acta legen sollte, weil es absolut gar nichts bringt.
Es gibt ja Situationen, die einem genau einmal im Leben passieren. Und bei dieser Premiere stehen die Chancen 50 zu 50, ob man sich richtig oder falsch verhält. Weil das Premieren eben so an sich haben, dass man sich nur ungenügend darauf vorbereiten kann. Also im Theater natürlich schon, sowohl als SchauspielerIn als auch als Besucher. Doch im Leben? Meist fällt einem ja erst im Nachhinein ein, dass man etwas gerade zum ersten Mal erlebt hat. Liebe auf den ersten Blick beispielsweise. Oder den Gewinn bei einem Preisausschreiben. Oder die Erfüllung einer Prophezeiung.
Ersteres ist mir nur einmal in meinem Leben passiert – die Folgen davon dauern immer noch an. Sollten Sie sich also gerade auf den ersten Blick verliebt haben, überlegen Sie es sich gut, ob Sie dem nachgeben oder nicht. Das kann nämlich bis zum Ende ihres Lebens dauern. Und das meine ich durchaus als Drohung! Denn was da zwischen zwei Menschen passiert, ist jenseits von Gut und Böse. Unerklärlich. Faszinierend. Magisch. Das muss man erst einmal verdauen über die Jahre. Oder Jahrzehnte.
Blöd ist das Ganze nur, wenn sich aus der Liebe auf den ersten Blick keine dauerhafte Beziehung entwickelt hat. Also so eine, bei der man Tisch und Bett teilt – tagtäglich. Sondern wenn man sich immer wieder dabei ertappt, an diesen Menschen zu denken, obwohl man neben jemand anderem liegt und isst. Das bringt das Seelenheil ganz schön durcheinander, von den Hormonen reden wir hier gar nicht. Und den Alltag sowieso, weil man an einem Ort ist, an den man gehört und doch wieder nicht. Da braucht es schon eine ganz besondere emotionale Stabilität, um dieses Hin und Her auszubalancieren. Kann man es nicht und macht die Wünsche alle heiligen drei Zeiten wahr, klopft das schlechte Gewissen an. Doch warum eigentlich?
Weil man es nicht schafft, seinen gesteckten Zielen treu zu bleiben. Weil man merkt, dass man auch nur ein Mensch ist, der nicht ausschließlich auf dieser Welt ist, um seine Pflicht zu erfüllen. Weil man eine Verbindung zu einem anderen Menschen hat, der einen besonderen, einzigartigen Platz im Herzen hat. Da können andere nicht mit, so sehr man ihnen auch verpflichtet und versprochen ist. Damit umzugehen, ist schwer. Doch den Sinn im schlechten Gewissen sehe ich trotzdem nicht. Denn entweder vermeide ich eine Situation, von der ich glaube, dass sie mir schadet. Oder ich gehe bewusst damit um, genieße es und erkenne an, dass es eben nicht diesen EINEN Menschen gibt, der alle meine Bedürfnisse erfüllen kann. Manchmal sind es zwei, manchmal auch drei. Und wehe, Sie stecken mich jetzt in die unmoralische Schublade. Da gehöre ich nämlich gar nicht hin.
Kürzlich habe ich mir eine halbe Nacht beim Tanzen zu Tom Jones „Help Yourself“ um die Ohren geschlagen. Und dort gibt es eine Zeile, die sagt: „My heart has love enough for two, more than enough for me and you.“ Und ich dachte mir, dass das auf mich zutrifft. Ich habe viele Menschen in meinem Leben, die ich liebe. Jede/n auf ihre/seine Art. Und ich habe absolut kein schlechtes Gewissen dabei, diese Liebe zu verstreuen. Das macht mich zwar zu einer Art Schmetterling, und manchmal gibt es auch den einen oder anderen Versuch, das Netz auszupacken. Doch ich lasse mich nicht fangen. Weil ich ganz alleine darüber entscheiden möchte, wem ich meine Liebe wann schenke. Und wann nicht.
Natürlich können Sie jetzt sagen, dass ich ja auch in der Position bin, das tun zu können, und dass es für Sie vielleicht schwerer ist, weil Sie in einer Beziehung sind. Dazu kann ich eines sagen: Auch in Beziehungen kann man Liebe versprühen, jeden Tag aufs Neue und ungeachtet der Tatsache, wie viele Jahrzehnte man auf dem Buckel hat. Es ist eine Entscheidung, loszulassen, was man angesammelt, dokumentiert und gegengerechnet hat. Es ist eine Entscheidung, im Gegenüber immer wieder den Menschen zu suchen, in den man sich verliebt hat. Es ist eine Entscheidung, die Liebe leben zu wollen. Ob beim Zähneputzen, im Urlaub oder beim Essen einer Gerstensuppe. Man hat immer die Wahl, im anderen das Beste zu sehen, was einem passieren konnte. Tun Sie's einfach! Dann hat auch das schlechte Gewissen keine Chance.