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Kürzlich wurde ich zur aktuellen politischen Lage befragt und konnte nicht wirklich etwas dazu sagen. Nicht weil ich ein ignoranter Mensch wäre, keineswegs. Nur bin ich viel zu beschäftigt damit, Leben als einen positiven Prozess zu betrachten, als dass ich mir die Tage durch „wollte, sollte, könnte“ vermiesen zu lassen. Nennen Sie mich eine Eskapistin, aber vielleicht tröstet es Sie: Die Realität holt mich trotzdem immer wieder ein.


Das, was mich aktuell immer wieder anpikst, ist Unhöflichkeit beziehungsweise schlechte Manieren. Beides in den unterschiedlichsten Ausprägungen. Manche würden es auch Dummheit nennen, doch Geschmäcker, selbst sprachliche, sind ja meist indiskutabel. Gestern beispielsweise wollte ich mir nach einem voll gepackten Tag ein, auf der Speisekarte ausgewiesenes Grammelschmalzbrot bestellen. „Das haben wir nicht. Ich könnte es Ihnen erklären, aber wir haben es nicht.“ Wie bitte? Die Freundin, mit der ich beisammen sitze, fällt fast vom Stuhl vor Lachen. Ich stimme ein, denn Tränen in einem Gastgarten möchte ICH nicht erklären.
Auf Instagram erzählt mir ein Mann, dass er gerade in einem Flüchtlingscamp in Syrien tätig ist. Wir schreiben ein bisschen hin und her, bis er sich einen Tag nicht meldet. Ich denke mir nichts dabei, weil ich ja auch Offline-Leben habe. Am Abend schreibt er dann, dass es im Camp eine Explosion gegeben hat. Ich frage ihn, ob ihm etwas passiert und er verletzt ist. Nein, meinte er, aber sein Laptop sei bei der Explosion zerstört worden. Ob ich ihm nicht einen neuen besorgen könnte? Wie bitte? Ich unterstelle ja niemandem etwas Schlechtes, weshalb ich anrege, mit der Campleitung wegen eines Gerätes zu reden. Nein, es wäre sein privates gewesen. Jetzt müsse er über das Handy eines Arbeitskollegen kommunizieren, was auf die Dauer keine Lösung sei. Da gebe ich ihm Recht, verdeutliche ihm aber auch, dass es auf die Dauer keine Lösung ist, wildfremde Frauen um Elektronik anzuhauen. Selbst wenn man ihr wie eine Wildbiene Honig ums Maul schmiert. Ich habe ihn blockiert.
Er war einer von drei Witwern mit einem Sohn in einem englischen Internat, die mich angeschrieben hatten. Seitdem kann Brad Pitt, Ryan Gosling oder Keith Urban aus dem Profilbildrahmen springen – ich stelle mich tot. Seit geraumer Zeit übe ich das, und inzwischen funktioniert das ganz gut. Kürzlich schreibt mich eine junge Frau an. 25, blond, in einem Fitness-Studio arbeitend und nur das eine im Kopf. Wirklich. Nur. Das. Eine. Innerhalb kurzer Zeit kenne ich ihren Bauch und die Tattoos an ihren Brüsten, dass sie einen Liebhaber und welche sexuellen Vorlieben sie hat. Natürlich will sie auch Informationen von mir. Und diese Neugierde gipfelt dann in der Frage, ob ich es schon einmal – verzeihen Sie meine Ausdrucksweise – mit einer Frau getrieben hätte. Wie bitte? Ich bin mir ja noch nicht einmal sicher, ob ich es einer meiner ältesten Freundinnen erzählen würde, wäre das der Fall. Wieso sollte ich also einer vollkommen Fremden gegenüber die Haremshosen herunterlassen?

Positiven prozess
Nicht dass ich von der prüden Fraktion wäre und/oder mein Vertrauen in die positiven Seiten eines Menschen nicht mit vollen Händen verteilen würde – aber es gibt selbst in meiner Welt Hemmungen. Auch und vor allem online. Manche würden es vielleicht Schamgefühl oder Taktgefühl nennen. Eventuell zumindest Zurückhaltung. Selbst ich nenne an dieser Stelle jeden Freitag nicht alles beim Namen, was einen Namen hat. Hat die Absenz all dessen mit mangelnder Impulskontrolle zu tun?
Dem Impuls, Anerkennung zu bekommen – um jeden Preis. Dem Impuls, seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen, einfach weil man es kann und keine Grenzen gesetzt bekommt. Oder weil man es bei Netflix oder Amazon Prime vorgemacht bekommt. Dem Impuls, über jeden drüber zu mähen, der einem nicht zu Gesicht steht. Dem Impuls, dass man sich alles holen kann, was man im Zerrbild der eigenen Persönlichkeit verdient. Nennen Sie mich altmodisch, aber ich halte viel von einem respektvollen Umgang miteinander – on- und offline. Und Respekt bedeutet in meiner Welt, vorsichtig und wertschätzend mit dem Gegenüber vorzugehen. Idealerweise freundlich. Denn Freundlichkeit kostet nämlich gerade einmal gar nichts. Sie erleichtert die Kommunikation, den Umgang, den Informationsaustausch – einfach alles. Wer das nicht zustande bringt, ist zu bedauern. Nicht nur, weil er andere verletzt, sondern auch, weil er nicht verstanden hat, was uns Menschen zu Menschen macht. Der römische Komödiendichter Plautus meinte zwar, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, solange er den anderen nicht kenne. Mir scheint, das gilt heute mehr denn je. Ich habe es ja nicht so mit wilden Tieren, weshalb ich mich in meinen Eskapismus zurückziehe und mich einfach weigere, Unfreundlichkeit anzuerkennen oder zu akzeptieren. Und es innerlich und/oder äußerlich mit Hape Kerkeling halte. Sie wissen, was jetzt kommt.

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Claudia Dabringer

Claudia Dabringer

Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg mit allem, was zu einer Studentenzeit dazugehört. Mehrjährige Konzentration aufs Radiomachen, bis alles durchexerziert war und das Schreiben wieder im Kopf präsent wurde. Seitdem freie Journalistin und als Fachtrainerin & Schreibpädagogin...
Kommentare  
# Isa Terza 2018-07-16 21:16
Benjamin ~ da haste deinen Stier wieder XD
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