Ich fühle mich wirklich geehrt, dass ich so viele sprechende Männer um mich habe – Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Und diese Regel ist vor allem aus gesundheitlichen Gründen wichtig.
Ich erinnere mich noch sehr genau, als mir die biologische Mutter meiner Kinder gestand, dass der Älteste – damals im Pubertätsalter - im Grunde in einer Höhle leben und kaum sprechen würde. Und ich konnte keinerlei Verbindung zu dem jungen Mann herstellen, der regelmäßig und streckenweise überbordend seine Gedanken und in zunehmendem Maße auch seine Gefühle mit mir teilte. Und das wiederholte sich auch ein paar Jahre später mit seinem jüngsten Bruder. Bis heute sind die beiden sehr offen in ihrer Kommunikation, auch wenn der „Kleine“ während der letzten Jahre manchmal darüber klagte, dass er seine Ausdrucksfähigkeit verloren hätte. Das hatte andere Gründe, und auf die will ich heute hinaus.
In meiner morgendlichen Lektüre ging es heute um Sümpfe und Felsen. Sümpfe sind laut Chuck Spezzano jene Menschen, die tief in ihrer Emotionalität stecken und daraus auch ihre Kommunikationsfähigkeit speisen. Felsen hingegen sind solide, aber eben halt auch nicht ganz so gesprächig. In seltenen Fällen und bei ernsthafter Motivation kann man auch diese Felsen zum Sprechen bringen und ihnen signalisieren, dass sie gehört und verstanden werden. Nimmt ein Sumpfmensch das, was da kommt, allerdings persönlich, kann der Fels sehr schnell wieder in sein Schweigen zurückfallen und seine Sprechmotivation dauerhaft verlieren.
Ich habe es immer schon als sinnvoll erachtet, Angehörige des männlichen Geschlechts zum Reden zu bringen. Schon alleine, dass Männer nicht darüber sprechen, wenn sie gesundheitliche Mängel haben, führt dazu, dass ihre Lebenserwartung geringer ist als jene von uns Frauen. Und das alles offenbar aus falsch verstandener Stärke heraus. Dabei werden wir ja von Männern als das „eigentlich starke“ Geschlecht bezeichnet, weil wir über das sprechen können, was uns bewegt. Und dadurch Verbundenheit herstellen können, die uns dazu bringt, auf uns zu achten. Nichtsdestotrotz: Es wird langsam mit den sprechenden Männern, doch es könnte schneller gehen. Andererseits hat jeder seine eigene Geschwindigkeit auf dem Lernweg. Geschenkt.
Nicht immer ist es mir persönlich gelungen, die Sumpfmomente in Gesprächen mit Felsen zu vermeiden. Doch sie werden wenig, nämlich mit der inneren Haltung, dass es für jeden Menschen wichtig ist, sich Belastendes von der Seele zu reden. Und nachdem ich vor geraumer Zeit beschlossen habe, in einem Mann vor allem den Menschen zu sehen, tauche ich mit Freude in die Gedanken- und Gefühlswelt von Männern ein. Und vielfach erlebe ich dadurch den Werdegang von Frustration und Resignation, weil das Gegenüber eben auf diesem Lernweg unangemessen reagiert hat. Aussagen persönlich nehmen musste, interpretiert hat, Worte im Mund umdrehen wollte. Und das bringt einen tatsächlich in die Entscheidungssituation, dass man sich überlegt, ob man reden oder schweigen sollte.
Ein Mann in meinem Leben tut das explizit, vor allem, weil er die Konsequenzen fürchtet, wenn er den Mund aufmacht und seine Meinung kundtut. Er ist ziemlich harmoniebedürftig und sieht jedes Gespräch mit unterschiedlichen Standpunkten als Diskussion, der er fernbleiben möchte – sogar als Zuhörer. Seine Gesundheit ist nicht die beste. Ein anderer Mann hingegen nimmt jede Gelegenheit wahr, die sich zwischen ihm und mir bietet, um endlich sein Seelenleben vor mir ausbreiten zu dürfen. Da er laut denkt, sind das meist Monologe, auf die ich mich aber über die Jahre eingerichtet habe und mich einfach darauf fokussiere, durch Zuhören zu heilen. Das gelingt gut, und dieser Mann ist gesund. Ein dritter Mann hat erst kürzlich durch mich gelernt, dass seine Gefühle und Gedanken bei mir gut aufgehoben sind. Dass ich ihn und seine Welt im Gespräch sein lasse und durch Fragen einen Raum öffne, wo er neue Erkenntnisse über sich selbst gewinnen kann. Das macht ihn glücklich, und sein Glück springt auf mich über.
Ich bin davon überzeugt, dass wir durch Zuhören – wie schon in der letzten Woche an dieser Stelle erwähnt – vieles zum Besseren verändern können. Und dass das richtige Zuhören vor allem Männer dazu bringt, weibliche und maskuline Energien in sich auszubalancieren. Davon profitieren nicht nur sie, sondern auch der Rest der Menschheit – unabhängig von Gender, Nationalität oder Mentalität. Es ist ein kleiner, aber effektiver Schritt, um den Frieden zwischen den Menschen herzustellen und vor allem einer, den wir alle gehen können.
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