Wie gehen Unternehmen mit Berufsanfängern um, die keine Lust auf traditionelle Karrierewege haben, die nicht durch Geld, sondern über Sinn motiviert sind? Franziska Fink beforscht, wie sich Firmen und Führung verändern, wenn eine Generation den Arbeitsmarkt erobert, deren Leitwerte Entwicklung, Sinn und soziales Netzwerk sind.
„Vor zehn Jahren haben uns die Bewerber gefragt: Was verdiene ich? Wie sind die Arbeitszeiten? Habe ich Urlaubsanspruch? Heute interessiert sie als Erstes: Was ist Ihre Führungskultur? Gibt es ein Mentoring-Programm? Wie ist Ihre CSR-Strategie?" Der Personalchef einer großen Bank wundert sich über den Nachwuchs – die vielzitierte Generation Y, jene, die zwischen 1979 und 1995 geboren sind und jetzt den Arbeitsmarkt erobern. Sie sind die Jüngsten in Unternehmen, noch weit entfernt von Macht und Chefsesseln und doch verändern sie Organisationen, weil sie anders sind als ihre Vorgänger.
„Sie wollen viel mehr mitreden als die Älteren. Sie fordern Transparenz und Mitgestaltung." Die Geschäftsführerin einer Pflegeeinrichtung muss diesen Wünschen nachkommen. Während die Zahl der zu betreuenden Alten steigt, schrumpft der Stapel an Bewerbungen für ihre Pflegeberufe. Wer ist der attraktivste Arbeitgeber? Wie beim Balztanz bemühen sich die Unternehmen um Zertifikate und Preise, die junge Menschen anlocken sollen. Mitarbeiter-Bewertungen wie ‚Great Place to Work' oder die Plakette des Ministeriums ‚Vereinbarkeit von Beruf und Familie' sind die neuen Waffen im ‚War for Talents'. Die Direktorin eines deutschen Versandhandelskonzerns schildert ihre Herausforderung: „Wir müssen uns viel mehr Gedanken über Employer Branding machen, weil alle nach dem besten Angebot suchen: Sozialleistungen, Work-Life-Balance, Homeoffice, Kinderbetreuung und fancy Büros wie bei Google, um Kreativität zu fördern."
„Ich sehe bei den Jungen heute eine andere Zielstrebigkeit, nicht mehr auf Positionen hin, sondern auf die persönliche Weiterentwicklung."
Die AbsolventInnen der Hochschulen sind wählerisch. Sie suchen einen Job, der Sinn schafft, in einer Firma, mit der sie sich identifizieren können. Manche wollen gleich in Teilzeit einsteigen und nebenher selbstständig eine Idee in die Welt bringen. Andere verhandeln schon mit dem Einstiegsvertrag jedes Jahr zwei Monate Auszeit, um in Afrika Entwicklungsprojekte zu unterstützen oder am eigenen Buch zu schreiben.
Die Angestellten der Zukunft wirken unabhängiger. Die Aussicht auf Festanstellung, die ihre Eltern noch angetrieben hat, scheint sie weniger zu locken. Viele wollen gleich nach Schule oder Uni selbst gründen und sich als UnternehmerIn versuchen. Das Internet als riesige Handelsplattform erleichtert den Start einer eigenen Firma. Wo bisher die Angst vor Kündigung oder Arbeitslosigkeit eine verbreitete Emotion unter Erwerbstätigen war, sind die Jungen heute unerschrockener und selbstbewusster. Die eigene Vita wird als Mosaik gedacht: Auslandserfahrungen, sich beruflich immer wieder neu erfinden, Elternzeit, Sabbatical oder Ehrenamt. Die Berufslaufbahn nur bei einer Firma zu verbringen, wirkt heute langweilig. „Die Flexibilität der Leute wird größer, ihre Wechselbereitschaft und -häufigkeit steigt. In Zukunft werden aus vielen Angestellten Freelancer, die ihre Arbeitskraft für verschiedene Projekte an verschiedene Firmen verkaufen", prognostiziert die Versand-Direktorin.
Die jungen MitarbeiterInnen wollen freie Zeiteinteilung und mobile Geräte, um auch von zu Hause oder im Café zu arbeiten. Ein internationaler Kaffeehersteller hat den Spieß umgedreht, hat vorsorglich alle MitarbeiterInnen mit Laptop ausgestattet und die Führungskräft verpflichtet, dass jede ihrer ausgeschriebenen Stellen auch in Homeoffice oder Teilzeit funktionieren muss.
Die Hierarchie ist flach, geführt wird über Ziele und Transparenz.
Der Chef der Firma beschäftigt sich viel mit seinen MitarbeiterInnen der Zukunft. „Die klassischen Karrieremenschen gibt es nicht mehr – die BWL-Studenten mit Anzug, die schon im ersten Semester wussten, sie werden Generaldirektor, sind ausgestorben. Ich sehe bei den Jungen heute eine andere Zielstrebigkeit, nicht mehr auf Positionen hin, sondern auf die persönliche Weiterentwicklung." Wie er rüsten sich Firmen für diese Generation. Sie bieten persönliche Entwicklungspläne, Weiterbildung, Coaching, Mentoren und regelmäßiges Feedback. Auch die Geschäftsführerin eines Fernsehsenders hat sich auf die Bedürfnisse der Jungen eingestellt. „Der Stil ist bei uns demokratisch kooperativ, es wird viel geredet. Jeder Mitarbeiter hat wöchentlich ein Eins-zu-eins-Gespräch mit seinem Chef, wo persönliche Themen besprochen werden."
Werden die früheren Einzelkämpfer, die auf den Chefsessel strebten, abgelöst von Teamplayern, die sich im Job fachlich und persönlich weiterentwickeln wollen? „Was ich bei unseren Mitarbeitern zwischen 20 und 30 höre, ist sehr viel Fokus auf Menschen. Das Team ist ihnen wahnsinnig wichtig", so der Chef eines Lebensmittelkonzerns. Eine österreichische Internetplattform kommt diesem Wunsch entgegen. Die MitarbeiterInnen sollen miteinander Spaß haben, dafür gibt es einen Feel-Good-Beauftragten, der mit Partys, spontanen Erfolgsfeiern, Sport-Events, Facebook-Gruppen und Sponsoring von gemeinsamen Freizeitaktivitäten versucht, aus den Angestellten Freunde zu machen, die sich auch im Büro zu Hause fühlen. Die Hierarchie ist flach, geführt wird über Ziele und Transparenz. Jeder Mitarbeiter kennt die Ziele der Firma und weiß genau, was sein Beitrag zum Ganzen ist. Eine junge Mitarbeiterin dieser Firma über sich selbst: „Sämtliche Regeln funktionieren bei mir nicht. Mich kann man nur über Leistung führen. Ich war heute erst um halb zwölf im Büro, dafür habe ich gestern bis neun Uhr gearbeitet. Wenn meine Vorgesetzte mir sagen würde, du musst von neun bis fünf da sein, würde es mir ganz schnell keinen Spaß mehr machen." Eine Kollegin im gleichen Alter beschreibt: „Ich will Freiraum, auch was Anwesenheit angeht. Wenn ich ein Projekt mit Kollegen habe, treffe ich mich bei mir zu Hause oder woanders. Die Führungskräfte müssen damit umgehen, dass neue Formen der Zusammenarbeit entstehen."
Die Geführten verändern den Führungsstil und zwingen ihre Vorgesetzten, die klassische Autoritätslogik von Command and Control zu verlassen und sich auf Augenhöhe zu begeben. Das Zitat eines Mitarbeiters (30) in der Personalabteilung eines Chemiekonzerns: „Ich habe keine Hierarchie-Angst. Wenn ich meine Vorgesetzten in einer Mitarbeiter-Versammlung erlebe und mir fällt was ein, dann will ich das sagen können. Eine Führungskraft muss sich ihre Autorität eher erarbeiten."
Sie achten auf Glaubwürdigkeit und sinnvermitteltes Führen und sie äußern ihre Erwartungen unverblümt: „Ich schaue stark darauf, ob ich von meiner Führungskraft etwas lernen kann. Es frustriert mich irrsinnig, wenn ich das Gefühl habe, sie ist nicht glaubwürdig oder kann mir das große Ganze nicht vermitteln", sagt die 28-jährige Angestellte eines Medienunternehmens. Sie arbeitet in einer Firma, die bewusst den Führungsstil des skandinavischen Mutterhauses übernommen hat. Führung passiert im Dialog, alle Mitarbeiter kennen den Purpose und die Ziele des Unternehmens. Die Führungskraft gibt lediglich den Rahmen vor, wie sie ihre Ziele erreichen, darin sind die Angestellten frei. Auch die Führungskräfte in dieser Firma sind erst um die 30 Jahre alt. Eine von ihnen beschreibt ihr Erstaunen, dass so viele Unternehmen noch in traditioneller Form arbeiten: „Ich bin wahnsinnig gelangweilt vom Führen durch Position und Hierarchie, das halte ich fast nicht mehr aus. Wenn ich solche Führungskräfte treffe, werde ich ungeduldig."
„Sie wollen viel mehr mitreden als die Älteren. Sie fordern Transparenz und Mitgestaltung."
Diese Emotion hat sie öfter. Die Mehrzahl der Firmen im deutschsprachigen Raum tickt nach wie vor in der tradierten Führungslogik. Doch auch in den Elefantenunternehmen der Wirtschaft tut sich etwas. Selbst die Schweizer Bundesbahn bemerkt einen Wandel in den eigenen Reihen. Das Traditionsunternehmen auf Schienen erlebt, dass junge EisenbahnerInnen anders denken. Einer der Strategen berichtet: „Die Jungen sind viel selbstbewusster, nach dem Motto ‚Trial and Error' gehen sie die Dinge einfach an. Wo man früher sehr vorsichtig war, probiert man es heute einfach. Die haben einen ganz anderen Drive."
Die Generation ist mit modernen Medien- und Kommunikationsmitteln aufgewachsen. Ihre älteren Kollegen haben keine Chance, da mitzuhalten. Das Prinzip ‚Die Alten wissen mehr als die Jungen' kehrt sich um. Firmen sind gefordert, die Kompetenz der Jungen zu nutzen und mit der fachlichen Erfahrung der Alten zusammenzubringen. Für Vorgesetzte ist das herausfordernd, wie ein Verlagsleiter in Deutschland beschreibt. In Sachen Social Media wissen seine Betriebsstudenten mehr als ihre Führungskräfte. „Jedes Elternteil kennt die Situation, vom eigenen Kind kluggeschissen zu werden, das erlebt man jetzt als Führungskraft auch. Viele haben am Anfang Schwierigkeiten mit dem Selbstbewusstsein und der Arroganz der Jungen, die haben Riesenansprüche. Ich war früher schon glücklich, als ich ein Handy vom Arbeitgeber bekommen habe. Die Leute in Zukunft werden sagen, gib mir bitte ein Tablet, ich will im Starbucks arbeiten." Er nimmt an, dass nur Firmen, die diesen Spielraum gewähren, Erfolg haben werden.
„Es wird eine Selbstverständlichkeit, dass auch Männer nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen, sondern bewusst ihr Leben leben, anstatt alles auf die Rente zu verschieben."
In Sachen Sexiness, die auf Bewerber wirkt, gibt es Konkurrenz auf dem Markt. Mehr als zu Traditionsunternehmen zieht es viele HochschulabsolventInnen zu Start-ups, die meist von Unternehmern im gleichen Alter auf die Beine gestellt sind. Sie residieren in halbsanierten Berliner Altbauwohnungen und scharen sich in den Pausen um die Tischtennisplatte im Besprechungsraum. Ein 23-jähriger Gründer, der schon sein drittes Start-up aufzieht, redet über seine Angestellten, als sei er selbst aus einer anderen Generation. Unter dem Druck seines Geschäfts zählen für ihn andere Werte als für seine gleichaltrigen Angestellten. Er hat Schwierigkeiten, Assistenten zu finden, die ihm einfach nur zuarbeiten und Dinge abnehmen. „Jeder will seinen eigenen Bereich, wo er sich frei entfalten kann. Auch die Einstellung, volle Leistung zu geben, um in der Firma aufzusteigen, gibt's immer weniger. Viele kommen zu uns und sagen gleich, sie wollen Work-Life-Balance. Einerseits finde ich gut, dass die Menschen sich nicht mehr von der Wirtschaft zwingen lassen. Andererseits entsteht da auch eine gewisse Rotznasigkeit und Dekadenz. Das kann Europa langfristig sehr schaden."
Seinen Mitarbeitern geht es nicht um hohes Gehalt, sondern um einen Job, der richtig Spaß macht und gutes Klima verspricht. Sie wollen abends ihre Freizeit genießen und rechtzeitig aus dem Büro. Für die ersten Jahre eines Start-ups sei das gefährlich, erklärt der Gründer. Bis das Unternehmen auf stabilen Beinen steht, braucht es noch vollen Einsatz von jedem. Für diese Phase sucht er bewusst etwas Ältere oder Menschen mit besonderem Engagement. Er führt drei Unternehmen gleichzeitig, denkt schon über das vierte nach und hat neben seinem politischen Engagement noch ein persönliches Projekt. „Ich versuche, die Mitarbeiter zu befähigen, sich selbst zu führen. Ich gebe die Info, wo es hingeht, lege die Geschäftszahlen offen. Jeder kann dann selbst einschätzen, wie er mit Geld umgeht oder mit einem Partner. Das Ziel ist, dass ich mich überflüssig mache und gar nicht mehr da sein muss. Ich studiere ja auch noch nebenbei."
Schwierig wird es dort, wo er ältere Mitarbeiter hat. „Ich habe jemanden, die eine Arbeitsethik aus dem vorigen Jahrhundert hat, die von nine-to-five ihre Stunden abarbeitet und allen anderen einredet, sie dürfen nicht zu viele Überstunden machen." Sein Ziel ist eine Organisation, die sich selbst führt, wo an verschiedenen Punkten jeder befähigt ist, im Sinn des Ganzen zu entscheiden.
Sie suchen einen Job, der Sinn schafft, in einer Firma, mit der sie sich identifizieren können.
Ein anderer Start-up-Gründer (30) in Berlin nimmt für sich selbst die 4-Tage-Woche in Anspruch. Das erwartet er in Zukunft auch von seinen Geschlechtsgenossen. „Es wird eine Selbstverständlichkeit, dass auch Männer nicht mehr Vollzeit arbeiten wollen, sondern bewusst ihr Leben leben, anstatt alles auf die Rente zu verschieben." Um seinen Angestellten die Zeit bei der Arbeit angenehm zu gestalten, versteht er sich selbst als Host. Es gibt schöne Arbeitsplätze und gratis Snacks im Büro, mittags geht man gemeinsam essen. Wo es eng wird, unterstützt er die Mitarbeiter mit Darlehen, hilft bei der Wohnungssuche, oder wenn jemand mit dem Anwalt Probleme hat. „Wir ersetzen, was früher eine große Familienstruktur gemacht hat."
Der Personalchef der österreichischen Bank schüttelt den Kopf – so dramatisch anders sei alles noch nicht. „Ich bin immer wieder überrascht, wie wertkonservativ viele Junge doch sind. Sie kommen mit ganz viel Auslandserfahrung, wollen international Karriere machen und nach anderthalb Jahren gehen sie schon nicht mehr weg aus Wien. Sie sind wegen ihrer Beziehung sesshaft geworden." Auch der Chef eines Süßwarenkonzerns hat ein Problem, junge Leute zu finden, die international mobil sind. Er lacht in unserem Gespräch über die Generation Y. Eines habe sich zum Glück noch nicht geändert, was uns als Menschen motiviert – die Liebe. „Wir hatten eine super Mitarbeiterin (27), die bei uns ganz weit gekommen wäre. Und was macht sie – kündigt und zieht aufs Land zu ihrem Freund."
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